Schallte uns jahrelang die Frage entgegen, was wir denn – nach der Öffnung der Ehe – noch wollen, so fällt diese Antwort mittlerweile leicht. Leider. Was wir wollen ist: Sicherheit! Denn nicht nur unsere errungenen Menschenrechte als LGBTIQ* sind wieder in Gefahr. Sogar unser Leib und Leben ist wieder stärker bedroht. 

Erschreckend daran, dass dies selbst auf den CSDs so ist. Die Lage am Rande der Demonstrationen reicht leider schon, um deutlich zu machen, weshalb wir da auf die Straße gehen. Von den mehr als 120 CSDs, die in diesem Jahr in Deutschland veranstaltet werden, ist erst ein Teil erfolgt. Doch kaum einer vergeht, ohne Gewalt gegen die Teilnehmenden, ohne handgreifliche Queerfeindlichkeit. Seien es Pöbeleien und Anfeindungen wie in Oldenburg und Olpe. Sei es, das queere Menschen zusammengeschlagen werden, wie in Hannover oder in Hooksiel bei Wilhelmshaven. Sei es, dass es online Anschlagsdrohungen wie in Passau oder konkrete Pläne wie zuletzt in unserem Nachbarland Österreich beim Vienna Pride gibt. Für den ersten CSD in Wernigerode liegen ebenfalls schon online Aufrufe zu Gewalt vor.

Im Jahr 2022 gab es pro Tag 3 registrierte queerfeindliche Angriffe. Die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher liegen. 

Was ist da los?

Ist es mehr Hass auf LGBTIQ* als früher? Nein. Doch man traut sich wieder. Oder deutlicher: Mann traut sich wieder. Denn die Täter sind – wie so oft bei Gewalttaten – männlich. Doch warum traut man sich wieder? Weil die Anheizer mehr werden und sie hetzen immer öffentlicher. Sie sitzen in den Parlamenten. Keineswegs nur in Russland, in Ungarn, in Polen. Sie sitzen in Österreich, Frankreich, Italien, Deutschland und den USA. Sie sitzen in den Parlamenten und ihre Bühne ist die Öffentlichkeit. Ihre Ziele scheinen deutlich: die Gesellschaft soll zurück in eine klare und strenge patriarchalische Hierarchie. Der heterosexuelle cis-Mann an die Spitze, die cis-Frau ihm nachgeordnet und Ende. Binär und klar geregelt. Warum? Weil es eine perfekte Machtstruktur für den heterosexuellen cis-Mann ist. Das ist der einzige Grund. Die milliardenschweren Think-Tanks hinter der Hetze: es sind männliche Milliardäre. Dazu ist ein altes Bündnis weiter machtvoll am wirken: Adel und Klerus. In diesem Fall der Geldadel meist amerikanischer und russischer Oligarchen, sowie evangelikale und orthodoxe Kreise. Die orthodoxe Kirche in Russland und die evangelikalen Strömungen in den USA: sie wirken ganz in diesem Sinne. Es ist ein gegenseitiger Pakt im Bestreben um Machterhalt und Machtausbau. In Deutschland ist es vor allem die AfD, die ganz offen und unverholen LGBTIQ* ihr Menschsein abspricht. Der Kampfbegriff ist: Ideologie! Dabei wird erneut das Mittel der Umkehr verwandt. Denn um Ideologie geht es eben gerade diesen Akteuren.

LGBTIQ* zu sein ist so Normal wie Atemholen und genauso wenig wählbar – rechts und menschenfeindlich zu sein dagegen ist eine bewusste Entscheidung.

Dabei nutzen unsere Gegner die Mittel und Strukturen der Demokratie und verbinden sie perfekt mit der Bequemlichkeit des Menschen und der manipulativen Macht der sozialen Medien. Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. (Zitat, Verfasser unbekannt) Diese Diktatur zeichnet sich zuerst auch dadurch ab: Es wird von wenigen diktiert, wer ein richtiger Mensch ist und wer ein falscher. Die US-Republikaner bezeichnen Homosexualität als anormale Lifestyle-Wahl. Die Vorgaben werden immer konkreter: Wie es sich zu kleiden gehört, was zu lesen erlaubt ist und was zu sagen und denken toleriert wird. Die Verhaftungen, die Repressionen – die folgen später. Und sie werden irgendwann immer offener. Russland, Uganda, Ungarn doch auch Florida und Texas. Sie gehen voran. Bücher werden bereits wieder verbannt. Heinrich Heine kommt einem in den Sinn. „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“. Wie lange dauert der Schritt vom Verbannen zum Verbrennen noch? 

Dabei wird bei einem Blick in die konservativen Agenden eins deutlich: Es geht eben um mehr, als nur LGBTIQ* auszumerzen. 

LGBTIQ* waren schon immer dankbare leichte Opfer, um als Zielscheibe zu dienen. So stark verwurzelt sind die Glaubenssätze in breiten Teilen der Gesellschaft, dass LGBTIQ* ohnehin eine falsche Laune der Natur sind, eine Ideologie und ein gefährlicher Irrweg, dass diese allzu leicht aktiviert werden können. Immerhin konnten die Kirchen über 2000 Jahre lang diese Geschichte erzählen. 

Genau das passiert derzeit wieder verstärkt. Wir werden als Wahlmöglichkeit und Ideologie klassifiziert. Als verdorben und krank und abweichend von der Norm.

Halten wir aktiv dagegen!

Sind wir wehrlos? Nein. Doch dagegen zu halten ist eine aktive Herausforderung. Die Demokratie, die Menschenrechte und die Menschlichkeit, verteidigt sich auf der Straße, im Gespräch und an der Wahlurne. Vom Sofa aus wird es nichts. Das gilt für die Community ebenso, wie für Allys. 

Wir brauchen Allys. 

Als Minderheit sind wir am Ende machtlos. Daher brauchen wir Menschen, die sich mit uns solidarisieren und verbünden. Menschen, die wissen, dass es auch um ihre Situation geht. Das Angriffe auf queeren Menschen lediglich die Speerspitze sind. Menschen, die wissen, dass der Schutz von Minderheiten letztlich eine offenere, menschlichere und lebenswertere Gesellschaft sichert. Eine Gesellschaft, die jedem mehr Sicherheit und Freiheit bietet. Überzeugen wir unsere Familie, Freunde, Nachbarn und Kolleg*innen Allys zu werden.

Raus auf die Straße!

Geh zum CSD, zeige dich und laufe mit. Doch mehr als das. Rede mit anderen, suche den Kontakt, informiere dich und höre den Erlebnissen der Anderen zu. Nimm Anteil und zeige, dass wir zusammenstehen. 

Zeige Haltung im Alltag!

An allen anderen Tagen im Jahr braucht es ebenfalls unsere Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Wir müssen dort widersprechen, wo wir Ausgrenzung erleben. Wir müssen dort zusammenstehen, wo wir Angriffe beobachten. 

Kläre auf! Rede mit Freunden, Nachbarn, Kolleg*innen. Mach die Freiheit und Solidarität der Gesellschaft zum Thema. Erkläre, dass wir alle davon profitieren. Die Freiheit der Rechtskonvervativen bedeutet, du darfst so sein, wie sie es wollen. Die Freiheit die wir verteidigen bedeutet, du darfst sein, wie du bist. Auch, wenn du rechtskonservativ sein willst. 

Wähle! Wähle bewusst! 

Unsere freiheitlich-liberale Grundordnung verteidigt sich nicht von alleine. Sie braucht uns als Wähler*innen. Als mündige Bürger*innen, die sich Gedanken machen, wen sie wählen, weil sie wissen, was sie damit wählen. Auch die NSDAP war mal ein Protest. Dieser endete in millionenfachem Tod und Grauen. Es gibt heute soviel mehr Möglichkeiten, als nur die Altbekannten großen Parteien. Seid gewiss: die Feinde von Freiheit, Akzeptanz und Menschlichkeit gehen wählen. Sie nutzen die Chancen, die sich dadurch bieten. Halte dagegen!

Es kommt auf jede*n an. Denn wir sind in Gefahr. Alle. 

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