Erst Alice Weidel, jetzt Jens Spahn. Die Eine ist nicht queer, sie ist nur seit 20 Jahren mit einer Frau verheiratet. Der Andere ist ebenfalls nicht queer, sondern schwul. Beides sorgt zu Recht für Aufregung in der Community und in Kreisen der LGBTIQ-Aktivist*innen. Auch wir als CSD Deutschland e.V. beziehen hier klar Position. Doch wir möchten diese in einem Punkt differenzieren. 

Wer sich das Interview mit Jens Spahn anschaut, muss dazu zuerst mal den Sender NIUS nutzen. Dieser ist die Fortsetzung der Aktivitäten von Julian Reichelt. Verschiedene Medien wie FAZ und Frankfurter Rundschau weisen auf Parallelen zu FOX News hin und auf die rechtspopulistische Ausrichtung des Senders. Dies sollte sich jeder, der Spahn verteidigt, bewusst machen. Denn in einem Interview sind beide Seiten relevant: Fragensteller*in und Antwortender. Wir werden dies gleich merken. 

 Sind die Aussagen von Spahn zum Thema Queer kritikwürdig? Ja! Doch wir finden, sie sind es anders, als wir sie oft lesen und hören.

Wirklich fahrlässig handelt Spahn, in dem er an einer Stelle eben das Handeln unterlässt. Als nämlich sein Interviewpartner im Zusammenhang mit dem Begriff Queer die Aussagen hinstellt: „Hat eine kleine radikale Minderheit die Bundesregierung gekapert?“ und dann nachlegt: „Wenn man als normaler Mensch darauf schaut.“, dann macht Jens Spahn: Nichts. 

Da sitzt der stellvertretende Fraktionsvorsitzender der CDU und lässt diese Aussagen im Raum. Er geht sogar einfach weiter in seinen Ausführungen und greift das Wort Minderheit auch noch auf. Damit bestätigt Jens Spahn zwei Narrative: Zum einen, dass es eine queere Kampfgruppe gibt, die eine Ideologie verbreitet und diese jedem Bürger aufdrücken will. Zum anderen, dass es einen Unterschied zwischen ´normal´ und ´queer´ gibt. Noch einmal. Jens Spahn, schwul und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU lässt diese Erzählung unwidersprochen, er lässt es zu, dass LGBTIQ* und `normale Menschen´ voneinander getrennt werden. Dazu noch in einer Weise, die die Einen als die richtigen und die anderen als die falschen Menschen impliziert. 

Dieses Verhalten ist für uns unerträglich.

Das die Vorsitzende der in weiten Teilen Deutschlands als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei so agiert, überrascht nicht. Daher lassen wir das auch unkommentiert, um hier nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Doch das die selbsternannten Verfechter von Bürgertum, von Menschenrechten und Sicherheit von Menschen so etwas unwidersprochen hinnehmen, ist in seinem Ausmaß kaum zu erfassen. 

Ja. Wenn ein Mann nur andere Männer liebt, dann ist er schwul. Wenn eine Frau sich nur zu anderen Frauen hingezogen fühlt, dann ist sie lesbisch. Niemand von beiden ist per se queer. Der Begriff Queer ist in der Tat mehr und anders als das. Er ist vor allem jedoch eines: im Entstehen, im Ausdefinieren und er ist verschwommen und vielfältig. Es gibt Menschen, die sich als queer bezeichnen und damit ihre Identität meinen. Es gibt den Begriff queer in der Verwendung als Oberbegriff für LGBTIQ*, auch um das Akronym zu vermeiden. Ein Akronym, dass unseren angelsächsischen Freunden so leicht über die Lippen geht, dass es keinen Bedarf an anderen Bezeichnungen gibt. 

Wenn Jens Spahn meint, er sei schwul, jedoch nicht queer, dann akzeptieren wir das. Doch das er in diesem Interview eine Trennung zwischen „normal“ und „queer“ stehen lässt, dass er die berechtigten Sorgen und Anliegen von Trans* – Menschen in die rechte Erzählung vom Angriff auf Frauenschutzräume einordnet, dass können wir weder unkommentiert, noch unwidersprochen lassen.

Obendrein spricht Jens Spahn mehr als ein Dutzend mal in seinen Aussagen von der `Mehrheit der Deutschen´. Die Mehrheit wolle dies und das und es würde viel Politik gegen die Mehrheit gemacht. Lieber Jens Spahn, dass ist das Wesen eines demokratischen Rechtsstaates. Damit nährt er ein weiteres Narrativ, nämlich das, dass man – also die Mehrheit – sich das Land wiederholen muss. 

Doch falsch gedacht. Es ist gerade das Wesen der Demokratie, dass die Mehrheit auch gezähmt werden muss. Ausgerechnet eine FDP-Justizministerin brachte es einmal so auf den Punkt: „Reine Mehrheitsentscheidung kann auch zum Diktat der Mehrheit und Unterdrückung von Minderheiten führen, wenn diese nicht einklagbare Rechte haben“, erklärt die FDP-Politikerin und ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Notwendigkeit des Schutzes von Minderheiten.

Eine Demokratie ohne den Schutz von Minderheiten ist Faschismus. Wenn Jens Spahn die Erzählung heutiger Faschisten wiederholt und Queer als eine Ideologie darstellt, dann leistet er diesem Faschismus Vorschub und versündigt sich an dem Minderheitenschutz einer Demokratie. Der Begriff Queer wurde übrigens einst genau dafür genutzt. Um Menschen abzuwerten und zu beleidigen. Denn im Englischen bedeutet Queer „eigenartig“. Doch die Betroffenen haben den Begriff aktiv aufgegriffen und umgedeutet. In dem sie ihn für sich selbst angenommen haben, haben sie ihm die beleidigende Schärfe genommen. Diese Umdeutung des Schimpfwortes ist jedoch weiterhin in vollem Gange und daher ist der Begriff auch keineswegs klar abgrenzbar. 

Der Begriff Queer ist also vieles. Er ist individuell, er ist Sammelbegriff, er kann für jede und jeden etwas anderes bedeuten. Ich kann mich als queer bezeichnen oder eben sagen, dass ich mich da nicht zugehörig fühle. Doch eine Ideologie ist es erst, wenn ich den Begriff brandmarke und als Gefahr aufbaue. Dann nämlich verfolge ich ein menschenfeindliche Ideologie.

Als CSD Deutschland e.V. stehen wir dafür ein, für eine Welt zu kämpfen, in der alle Menschen angstfrei ihre sexuelle und geschlechtliche Identität leben können. Dazu gehört ein Selbstbestimmungsgesetz für Trans*, dass diesen Namen verdient. Das aktuell vorliegende Gesetz ist in Teilen bereits der Erzählung von Rechts spürbar gefolgt und weist deutliche Schwächen auf. 

Dazu gehört vor allem jedoch, dass wir davon überzeugt sind, dass alle Menschen normal sind. Heterosexualität ist lediglich die Mehrheit, das Erwartbare und Homosexualität die seltenere Ausnahme. Wer hier eine Unterscheidung in der Wertigkeit hereinbringt, entfernt sich von den Grundsätzen der Demokratie.