Malte ist tot.

Ein junger Mann, der brutal zu Tode geprügelt wurde, weil er Zivilcourage gezeigt hat. Ein junger Trans*, der sich schützend zu lesbischen Frauen gestellt hat. Auf dem CSD in Münster. Am hellichten Tag.

Malte ist tot. 

Das hinterlässt uns schockiert, bestürzt und geschockt. Doch nicht überrascht. 

Seit Monaten bereits bemerken wir eine zunehmende Aggressivität und Gewalt vor, bei und im Umfeld von CSDs. Quer durch die Republik werden Regenbogenfahnen heruntergerissen und verbrannt. Bei mehreren CSDs gab es gewalttätige An- und Übergriffe auf Teilnehmer*innen. Die Gewalt hat ein Ausmaß erreicht, das wir lange nicht kannten. 

Was ist anders? Woher kommt diese brutale Gewalt? Können wir die Ursache klar benennen? Gibt es einfache Ursachen und Lösungen? Nein. 

Doch in diese Richtung zu argumentieren, hieße spekulieren und unbegründete Verdächtigungen äußern. Das überlassen wir anderen.

Doch wir möchten konkrete Felder benennen, die aus unserer Sicht und Einschätzung dazu beitragen, dass die Gewalt zunimmt.

Es scheint nämlich paradox. Seit Jahren verbessert sich die rechtliche Situation von LGBTIQ+. Mit der Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare schallte uns auf den CSDs entgegen: was wollt ihr denn noch, ihr habt doch jetzt alles.

Doch fast im Gleichklang verschärft sich das gesellschaftliche Klima gegen uns. Ein Zusammenhang?

Von etwas wissen, dass ich nicht in Ordnung finde, das gegen meine anerzogenen oder selbst gefundenen Überzeugungen, ist das eine.

Es mehr und mehr sehen, etwas völlig anderes. Und je mehr sich die rechtliche Lage verbessert hat, desto sichtbarer wurden LGBTIQ+. Im Bundestag sitzt mit Tessa Ganserer erstmals eine Trans*Person. Mit Sven Lehmann hat die Bundesregierung einen queeren Beauftragten ernannt. Der Generalsekretär der SPG ist offen homosexuell. Im Fernsehen gibt es Datingshows für LGBTIQ+ und Heidi Klum suchte Deutschlands beste DragQueen. 

Doch legitimiert das Gewalt?

Nein. Absolut nicht. Es gibt niemals eine Begründung für Gewalt. 

Sichtbarkeit schafft Reaktionen

Doch unsere stärkere Sichtbarkeit holt ans Tageslicht, was dort schon lange und vielleicht immer gärte: die tiefverwurzelte Ablehnung von LGTIQ+. Uralte Bewertungen und Glaubenssätze, dass so etwas nicht sein darf.

Wenig überraschend haben die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes nach dem 2. Weltkrieg die gleichen Menschenrechte von LGBTIQ+ weiterhin ignoriert. Wer in die Historie eintaucht, entdeckt schnell, dass auch die Gleichberechtigung der Frauen eine knappe Geschichte war.

Es war mehrheitsfähig, dass wir es nicht wert sind.  Das LGBTIQ+ Menschen zweiter Klasse sind. Eine Haltung, welche die katholische Kirche bis heute befeuert und die in weiten Kreisen der deutschen Politik immer noch konsensfähig ist. Die Kirchen spielen weltweit eine entscheidende Rolle bei diesen Prägungen. Es reicht, dieser Tage nach Serbien zu schauen, wo die orthodoxe Kirche Front gegen den Europride macht. Doch das Christentum steht nicht alleine da. Fast alle abrahamitischen Religionen teilen die Ansicht der Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann und die Lebensunwürdigkeit von Homosexuellen. 

Das alles in einer Welt, in der die Echokammern der digitalen Welt die Tendenz fördern, dass ich am besten nur von Gleichen umgeben bin. Als Fazit ergibt sich zunehmend eine Weltsicht wie im Mittelalter, in der schon die Bewohner*innen des Nachbardorfes argwöhnisch beäugt wurden. Es scheint, als seien wir dabei, zu verlernen, dass unsere Welt vielfältig und bunt ist, anstrengend und anders. Wie offenbar auch immer mehr Menschen verlernen wollen, dass die Erde eine Kugel ist. Hier gärt etwas, das schon lange da ist und wohl nie ganz weg war. Im eigenen Saft der sozialen Echokammern wird es verstärkt. Zuerst sind es Gedanken, dann Worte und schließlich Taten. 

Und die Gewalt zeigt die Unfähigkeit vieler und offenbar fast ausschließlich männlichen Personen, mit anderen Meinungen und Perspektiven umzugehen. Also muss weg, was ich nicht verstehe, verstehen und wahrhaben will. 

Wenn Vielfalt überfordert

Malte ist tot.

Tot, weil ein anderer junger Mann es eben nicht ertragen konnte, dass die Welt nicht so ist, wie er sie gerne hätte. Wie er gelernt hat, dass Menschen zu sein haben. 

Tot, weil Gewalt und das blinde Um-sich-schlagen selbst in der öffentlichen Meinung wieder Fürsprecher findet. Dabei in die USA zu schauen, verkennt, dass ein Blick ins blaue Thüringen reicht. Oder ins Sauerland, aus dem kommend ein heutiger Parteichef seinen homosexuellen Parteikollegen ohne Grund mit einer Gefahr für Kinder in Verbindung brachte. 

Gesetze schaffen Sicherheit vor Gericht. Doch Leib und Leben schützen sie nur bedingt. Wem es ernst ist, mit der Gleichheit aller Menschen, der muss an die Wurzeln alter Überzeugungen. 

Das der vermutliche Täter von Münster ein Migrant war, soll hier tatsächlich nur eine Nebenrolle spielen. Weil es nur eine Nebenrolle ist. Es zeigt ein Symptom, doch nicht die Ursache. Denn wir brauchen keinen Geflüchteten aus einer machohaft geprägten Kultur, in der zur Rechtfertigung des männlichen Machtmonopols Frauen und LGBTIQ+ systematisch abgewertet werden. Es reicht der Blick in die eigene Bevölkerung, der zeigt, dass diese Glaubenssätze eben auch hierzulande immer noch stark verwurzelt sind. Es reicht ein Blick auf AfD Wahlplakate und Äußerungen, auf Aussagen aus den Reihen der CDU, der katholischen Kirche und so weiter.

Das alles zeigt uns ganz deutlich, dass wir noch lange nicht am Ende unsere langen Kampfes angekommen sind. Der Artikel 3 GG führt sexuelle und geschlechtliche Identität noch immer nicht auf. Weitergehend möchten wir sogar anregen, ihn ohnehin umzuformulieren. Denn ein Diskriminierungsverbot bedeutet ja lediglich, dass ich alle diese Menschen, auf die diese Merkmale zutreffen zu Recht minderwertig halten darf. Ich darf sie lediglich nicht rechtlich diskriminieren. Artikel 3 sagte, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. 

Wie viel wichtiger wäre eine Formulierung aus der Haltung der Artikel 1 und 2. Wir alle sind gleich. Von Geburt an und ohne jegliche Leistung und Beweis.

Längst ist unsere freiheitlich demokratische Grundordnung nicht mehr dergestalt Konsens, dass wir uns beruhigt zurücklehnen können. Münster ist kein Einzelfall. Münster ist leider lediglich der derzeitige Tiefpunkt. 

Taten statt Worte

Daher stellen wir konkrete Forderungen.

Wir fordern

_ die Ergänzung des Artikel 3 Grundgesetz um die Merkmale der sexuellen und geschlechtlichen Identität. Eben weil das Grundgesetz der rechtliche Boden ist, auf dem diese Republik steht.

_ konkrete verpflichtende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in allen Bildungsbereichen im Hinblick auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und die Gleichwertigkeit aller Menschen. Es darf nicht länger Zufall sein, ob und was gelehrt wird. 

_ neben der materiellen und ökonomischen Integration von Geflüchteten, klare Maßnahmen zur Integration in unsere freiheitliche Grundordnung und die Anerkennung der Gleichheit aller Menschen. Die individuelle Religionsfreiheit ist davon unbenommen. Doch wo Religionen Menschen abwerten und Ausgrenzen, ist das Grundgesetz durchzusetzen.

_ konkrete verpflichtende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in allen Sicherheitsbehörden im Hinblick auf das Erkennen queerfeindlicher Gewalttaten.

Die Demonstrationen zum Christopher-Street-Day zeigen, dass der Wunsch nach Inklusion und die Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind, in unserer Bevölkerung breit verankert ist. Mehr als 3 Millionen Menschen sind dieses Jahr bundesweit dafür auf die Straße gegangen. 

Es ist an der Politik, dafür zu sorgen, dass die Würde des Menschen auch im alltäglichen Leben unantastbar ist. 

Denn das, was da gärt, das tötet.

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