oder auch: „Wie ein richtiger Pride zu sein hat!“
In Deutschland werden in diesem Jahr über 120 CSDs veranstaltet. An der Art, wie das durch die ehrenamtlich Engagierten gemacht wird, gibt es in immer mehr Städten Kritik. Allerdings kommt diese Kritik fast ausschließlich von einer kleinen Gruppe, die sich sehr weit links stehend definiert.
Kritik ist per Definition das Hinweisen auf einen Mangels aus Sicht der Person, die sie ausspricht. Daher kann Kritik grundsätzlich hilfreich sein. Sie kann blinde Flecken aufdecken, auf bisher Versäumtes hinweisen und zu Verbesserungen führen.
Verbesserungen beim CSD, die aus Kritik entstanden sind, sind sicherlich der zunehmende Abbau von Barrieren. Seien es Awarenessteams, Gebärdendolmetscher*innen, einfache Sprache auf Webseiten und Flugblättern, Pfand- und Mehrwegsysteme, Verzicht auf Verbrenner und vieles mehr. Alle diese Veränderungen haben im Regelfall zu mehr Teilhabe und Achtsamkeit geführt.
Doch es wird eben auch öfter Kritik geäußert, die, wenn man ihr folgt, statt zu mehr Teilhabe zu Ausgrenzung führt. Kritik, die aus ideologischem Ansinnen formuliert wird und die darauf zielt, zu definieren, wie ein CSD zu sein hat, damit er einer ist. Ideologie meint hier, dass die eigene Weltanschauung benutzt wird, um fremde Handlungen zu bewerten und eigene zu rechtfertigen. Das ist durchaus ein alltäglicher Prozess. Doch gerade beim CSD fordern wir ja, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten zu akzeptieren.
Daher sei hier klar gesagt: kein CSD hat eine Norm Einzelner zu erfüllen!
Als politische Demonstration für die Anerkennung von LGBTIQ* als gleichberechtigte Menschen, ist ein CSD ständig einem Wandel unterzogen. Einhergehend mit dem, was der bzw. die CSDs im Land an Wandel erreicht haben.
Betrachten wir diese sogenannte Kritik nun eingehender. Denn auch, wenn Kritik ideologisch motiviert und fordernd geäußert ist, wollen wir uns zum Kern der Kritik vorarbeiten. Vielleicht steckt etwas hilfreiches darin.
_I: CSDs sind kommerzielle Spektakel und Werbeplattformen für Unternehmen geworden
Ausgangspunkt für diese Kritik ist die zahlreiche Teilnahme von Gruppen in der Demonstration, die Unternehmen repräsentieren. Doch tun sie das wirklich?
Fast alle Beiträge von Unternehmen bei den CSDs im Land, gehen auf die Initiative von LGBTIQ* – Netzwerken in diesen Unternehmen zurück. Es sind die Menschen die dort arbeiten, die es schaffen, dass ihr*e Arbeitgeber*in ihnen diesen Raum gibt, sie mit Ressourcen unterstützt. Es sind diese Netzwerke, die im Unternehmen für mehr Anerkennung, den Abbau von Vorurteilen und für Akzeptanz arbeiten und durch ihren öffentlichen Beitrag beim CSD auch klar zeigen, dass es sie gibt.
Versprechen sich Unternehmen im Gegenzug etwas davon? Sicherlich wird das vielfach der Fall sein. Es wäre ein schlechter Kaufmann, wer nicht wenigstens den zufälligen Profit einstreicht. Ist es deswegen die bessere Alternative, auf diese Unterstützung zu verzichten?
Jeder Beitrag stärkt die LGBTIQ* im Unternehmen, sorgt für Sichtbarkeit und Thematisierung im Kreis der Kolleg*innen.
Doch zu unterstellen, die Hauptmotivation wäre Werbung, springt arg kurz. Denn immerhin ist die LGBTIQ* Community für immer eine Minderheit. Werbung jedoch, richtet sich selten an Minderheiten, sondern an die größere Zielgruppe. Dort, in der heteronormativen Mehrheit, können damit durchaus Kunden verloren gehen.
Wenn wir von durchaus kritikwürdiger Kommerzialisierung sprechen, dann sollte der Fokus vielleicht mehr auf Veranstalter*innen liegen, die offene Partytrucks gegen Eintritt anbieten. Hier ließe sich die Frage stellen, ob das dem Sinn der Demonstration entgegen läuft. Eine Demonstration mit Eintritt?
Wobei auch hier pauschale Kritik zu kurz springt. Denn sie verkennt, dass wir durchaus viel erreicht haben und es viele LGBTIQ* gibt, die an diesem CSD Tag vor allem feiern wollen. Dabei helfen offene Trucks vor allem denen, die sich deutlich exponiert in die Öffentlichkeit trauen. Denn auf einem CSD kann ich in der Menge untergehen. Auf einem Truck jedoch stehe ich im Rampenlicht. Diese Teilnehmenden erfüllen damit durchaus einen Mehrwert für alle anderen. Sie zeigen: schaut her! Ihr alle könnt so sein, wie ihr seid. Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken.
Erstmals, ungestört in der Öffentlichkeit.
Für die Organisator*innen des CSD ist es ohnehin ein komplexes Zusammenspiel aus Kosten (Bühnen für LGBTIQ*-Künstler*innen, Redebeiträge, Toiletten, Rettungskräften) und Möglichkeiten der Refinanzierung dieser Infrastruktur.
Obendrein richtet sich diese Kritik auch nur an wenige CSDs in Großstädten. Vielleicht hat die Kritik weniger mit dem Inhalt, als mit dem vermuteten Geld dahinter zu tun?
_II: CSDs müssen antikapitalistisch sein!
Eng verbunden mit Punkt I und vielleicht noch enger mit dem darin vermuteten Geld, taucht die Forderung auf, dass CSDs sich auch gegen den Kapitalismus stellen müssten.
Warum?
Dieses Dogma wurde früh formuliert. Doch finden sich kaum bis keine Begründungen dafür.
Was ist Kapitalismus?
Es ist eine Wirtschaftsordnung und damit auch eine Gesellschaftsordnung. Sie basiert vor allem auf dem Grundsatz des Privateigentums und ist auf das Erzielen von Gewinnen ausgerichtet. Damit soll sie besser, als alle anderen Ordnungen, das Streben des Menschen nach Leistung, Verwirklichung und Anerkennung vereinen.
Doch bevorzugt diese bestimmte Personen oder Personengruppen? Per Definition nein. Zumindest, wenn wir auf sichtbare Merkmale schauen. Wen sie bevorzugt, sind Menschen, die leistungsmotiviert sind, die selbstverantwortlich agieren und die auch körperliche oder geistige Kräfte mitbringen. Gegenüber Schwächeren hat dieses System Nachteile. Daher finden wir in Deutschland eine abgeschwächte Version des Kapitalismus.
Doch dem Kapitalismus an sich ist es ansonsten egal, ob du Frau oder Mann oder Nicht-binär bist. Es ist ihm egal, welche Hautfarbe du hast und sogar, welche politischen Ansichten. Ganz im Gegenteil geht es dem Kapitalismus eben um Kapital und Produktionsgüter. Zwischen Menschen macht der Kapitalismus per se keinen Unterschied. Am Ende sollen wir uns dort nur aufteilen in Produzent*innen und Konsument*innen.
Oftmals wird in der Kritik daher auch geäußert, es gehe um die Gesellschaftsordnung, die er fördert. Doch er fördert keine. Was er offenbar tut: er nutzt die vorhandene Gesellschaftsordnung aus.
Es scheint, dass der Kampf gegen den Kapitalismus, also der Kampf gegen eine Gesellschaftsordnung ist. Dort zentral gegen das Patriarchat.
Der Kapitalismus entstand im 16. Jahrhundert erstmals urkundlich. Im Raum Florenz wurde diese Ordnung erstmals erwähnt und entwickelt.
Doch nun ein Gedanke an dieser Stelle: das Patriarchat war zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens 1.600 Jahre alt. Kein Wunder, dass der Kapitalismus diese Gesellschaftsordnung aufnahm. Denn sie war vorherrschend in der westlichen Welt.
Das Patriarchat ist keine Erfindung des Kapitalismus. Der Gedanke, dass Männer wichtiger sind als Frauen und weitere unterdrückende Glaubenssätze resultieren schließlich woanders her: aus den Religionen. Genauer, aus den abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam.
Mann mehr Wert als Frau. Die Frau, die aus dem Manne hervorgegangen ist.
Ein Blick in die Welt vor dem Jahre Null, vor allem in die Antike zeigt uns: es gab durchaus andere Gesellschaftsordnungen. Dort war die Stellung von Mann und Frau eine Andere, dort ging man anders mit Homosexualität um und Trans* und intersexuelle Menschen hatten ganz andere und vereinzelt sogar mehr Rechte als heute.
Der CSD ist ein Kampf um die Gleichberechtigung von LGBTIQ*. Er ist durchaus auch zentral ein Kampf gegen Rassismus und patriarchale Strukturen. Denn diese widersprechen dem Akzeptanzgedanken.
Doch wieso soll er per se antikapitalistisch sein? Und wieso gibt es so wenig Forderungen, dass die Kirchen sich fernhalten sollten? Entstammt doch die deutlichste Festlegung der Wertigkeit von Mann und Frau der Bibel.
Die Kapitalismuskritik, wie sie uns erreicht, ist unzureichend. Eine Kritik am Patriarchat jedoch muss zwingend eine Kritik an der Kirche und dort vor allem am gesellschaftspolitischen Einfluss und der vielen rechtlichen Sonderstellungen der Kirche beinhalten. Wenn das Bein gebrochen ist, ist ein Gips am Arm sinnlos.
_III: CSDs sind nicht ausreichend antifaschistisch!
Die wohl mit Abstand das Ziel am weitesten verfehlende Kritik ist diese.
CSDs sind per se antifaschistisch!
Doch meint diese Kritik fast immer: Die Polizei muss dem CSD fernbleiben! Doch hat Polizei wenig bis gar nichts mit Faschismus zu tun. Auch, wenn es innerhalb von Polizeiorganen offenbar eine ständiges Driften in diese Richtung gibt.
Und doch ist diese Frage einfach und eindeutig zu beantworten. Machen wir uns kurz bewusst, was Faschismus bedeutet. Es handelt sich um eine Ideologie, die vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass der Bevölkerung vorgeschrieben wird, was diese zu denken und zu tun hat. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind tragende Wesenszüge des Faschismus. Er ist autoritär auf einen Führer ausgerichtet. Alle gesellschaftlichen Interessengruppen werden in ihrer Selbständigkeit beschnitten und auf ein gemeinsames Wohl des Regimes hin ausgerichtet.
Gegen all das demonstrieren CSDs. Gegen all das steht die queere Bewegung. Sie tritt ein für den Wert jedes einzelnen Menschen. Sie schätzt, fördert und fordert die Pluralität und Diversität der Individuen. Respekt und Wertschätzung unabhängig von Merkmalen. Was ich denke, was ich tue ist mir überlassen. Sofern mein Handeln die freie Entfaltung meiner Mitmenschen zulässt.
In einer Welt, in der alle Menschen so handeln, sind denn auch Organe überflüssig, die diese Haltung schützen. Doch bis dahin braucht es sie.
Die CSDs organisieren sich innerhalb der demokratischen freiheitlichen Grundordnung. Diese basiert auf der Gewaltenteilung und damit verbunden auch dem Gewaltmonopol des Staates. Denn ohne dieses Gewaltmonopol herrscht das Recht des Stärkeren. Dabei treten die CSDs dafür ein und kämpfen dafür, dass eben der Staat queere Menschen akzeptiert und schützt. Keinesfalls wollen wir den Staat mit seinen Organen abschaffen. Wir wollen ihn jedoch dazu bringen, seine Ideale auch einzuhalten und die Menschenrechte in all seinem Handeln zu leben. An dieser Stelle unterscheiden wir uns als CSD von antifaschistischen linksextremen Bewegungen. Wir sind als Bewegung durchaus eher links, jedoch doch keinesfalls extrem.
Denn unser Grundgesetz schreibt in Artikel 1 das fest, wofür wir kämpfen
Artikel 1, Grundgesetz
- Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt
- Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt
- Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtssprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Der Kampf gegen das Patriarchat im Kapitalismus ist in der queeren Bewegung der deutschen CSDs ein Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Auch dies ein unmittelbarer Ausdruck des Artikel 1.
Oftmals wird uns gegenüber angeführt „Stonewall was a riot“ – richtig. Ein Riot ist ein Tumult, ein Aufstand. Ein Aufstand wird geführt gegen das herrschende System. Das System wird dabei im Sinne des eben erwähnten Gewaltmonopols durch die Polizei repräsentiert. Wenn es zu Unruhen kommt, greift diese ein. So auch 1969 in der Christopher Street. Dabei ist die Polizei jedoch ausführendes Organ. Der Aufstand richtete sich einerseits gegen die erlebten Handlungen durch die Polizei – jedoch sind diese eben Ausdruck und Symptom der herrschenden Ordnung. Denn der Aufstand richtete sich gegen diese staatliche Unterdrückung. Das es innerhalb der Polizei damals und heute Kräfte gibt, die aus Eigenmotivation darüber hinaus gehen, das ist durchaus kritikwürdig.
Was wir daher anstreben ist, hier eine Veränderung herbeizuführen. Eine Veränderung bedeutet, dass wir anerkennen, dass sich staatliche Institutionen weiterentwickeln. Und das sich eben auch Haltungen und Einstellungen in der Gesellschaft weiterentwickeln.
Eine Abschaffung der Polizei und des Staates dagegen war und ist nie Ziel gewesen. Wer, wenn nicht ein Staat, soll denn Minderheiten schützen?
Wer, wenn nicht ein Gewaltmonopol, soll Gewalt reduzieren? Ein Blick in die USA sollte doch eindringlich vor Augen führen, was passiert, wenn Waffen in den Händen aller Menschen sind. Mit der entsprechenden Dynamik auch in Bezug auf die für Sicherheit verantwortlichen Organe des Staates.
Unbestritten gibt es dort Missbrauch von Macht und Gewalt durch einzelne und auch organisierte Menschen in diesen Institutionen. Genauso, wie es auch strukturelles Versagen innerhalb der Sicherheitsorgane gibt. Doch ebenso ist es offensichtlich, dass es Wandel und Fortschritt gibt.
Stonewall war ein Aufstand. Doch wieso muss es das deswegen in alle Zeit sein?
Wieso muss dieser gewaltsam geführt werden?
Wir haben heute andere Umstände. Wir haben nämlich etwas erreicht. Der Staat und seine Institutionen stehen heute in der Pflicht, uns zu akzeptieren und zu schützen. Verglichen mit 1969 klappt das auch ausgesprochen gut. Die noch immer bestehenden Defizite – ja, die prangern wir an. Gegen die gehen wir auf die Straße. Gegen die bestehenden strukturellen Versäumnisse ebenfalls. Doch mit demokratischen Mitteln. Mit Bündnissen, Wahlen, Argumenten. Mit Unterstützung in den und durch die Institutionen.
Wenn wir per Definition Institutionen wie die Polizei als Feind betrachten, dann ist jeder Kampf sinnlos. Denn dann unterstellen wir, dass niemals Veränderung möglich ist. Solch eine fatalistische Position muss zwangsläufig zu Gewalt führen. Damit ist sie keinen Deut besser, als die faschistische Ideologie. Denn sie will Menschen mit Gewalt dazu bringen, zu tun und zu denken, was sie vorschreibt.
Wer die pluralistische demokratische Gesellschaftsordnung ablehnt und CSDs, ihren Organisator*innen und Teilnehmenden vorwirft, sie würden falsch handeln, handelt im Kern eben sehr fragwürdig.
Minderheiten werden in einer Welt, in der das Faustrecht gilt, verlieren. Minderheiten brauchen staatliche Ordnung, Institutionen und ein Gewaltmonopol, um sicher und frei sein zu können. Doch sie sind auch gefordert, auf diese staatliche Ordnung und Institutionen fortwährend einzuwirken, für sich einzutreten und für Akzeptanz zu streiten. Diversität ist anstrengend. Menschliche Vielfalt erfordert ein fortwährendes Ausgleichen, Aushandeln und aufeinander ein- und zugehen.
Weil es so oft erwähnt wird, noch ein intensiverer Blick auf
_IV: Stonewall was a riot!
Ja. Doch die heutigen CSDs sind eben mehr als das. Vor allem die deutschen CSDs. Uns fehlt in diesem Land viel der in den USA zugrundeliegenden gesellschaftlichen Faktoren. In Deutschland gab und gibt es Rassismus, ja. Doch unsere queere Bewegung ist im Kern eine von weissen schwulen Männern und lesbischen Frauen. Uns daher in die Tradition us-amerikanischer Entwicklungen zu pressen, kann nur scheitern.
Stonewall was a riot. Ja. Doch daher Prides als Erinnerungsveranstaltungen darzustellen verkennt den noch erheblichen Bedarf an gesellschaftlicher Veränderung.
Die CSDs erinnern eben keinesfalls an 1969. Auch die deutschen CSDs hatten dort ihren Ursprung, ja.
Doch schon 1970 war es auch in New York eine reguläre Demonstration statt eines spontanen Aufstandes.
Wer sich ernsthaft mit 1969 beschäftigt, kommt nicht umhin, die gesamtgesellschaftliche Lage und alle Umstände einzubeziehen.
Das bedeutet, anzuerkennen, dass es auch vorher schon Aktivist*innen gab, die unermüdlich gekämpft haben.
Das bedeutet, einzubeziehen, dass es zur damaligen Zeit eben normal war, auf LGBTIQ* herabzusehen, sie auszugrenzen, zu schikanieren etc. So, wie wir es z.B. aktuell in Russland beobachten können.
Das bedeutet, einzubeziehen, dass die Polizei als Ausführungsorgan des Staates eben so handelte, weil es staatlich gefordert war und jedes Übermaß an Gewalt toleriert wurde. In der Organisation Polizei konnten Menschen in Bezug auf LGBTIQ* obendrein ihre persönlichen Motive ausleben, ohne zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
Das bedeutet, sich klarzumachen, dass es ein Gärungsprozess war, der in eine Affekthandlung in der Christopher-Street führte. Es war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Die Ereignisse im und um das Stonewall Inn entwickelten sich aus der individuellen Dynamik der gesamten Situation.
Das bedeutet, sich mit dem historischen Kontext vertraut zu machen. Bereits seit 1965 gab es Fortschritte und Reformen in New York. So waren Bars wie das Stonewall Inn eben 1969 legal.
Doch 1969 war auch Wahlkampf in New York. Bis heute zieht in konservativen Kreisen die Law-and-Order-Idee. Offenbar auch 1969 in New York. So wollte eine Seite der Politik Stärke zeigen und in den Bars der Stadt aufräumen.
Die Ereignisse die dann eintraten, waren offenbar zu diesem Zeitpunkt nötig und haben der LGBTIQ* Bewegung einen Schub gebracht. Den damals Beteiligten gilt unser Dank, denn sie brachten einen größeren Stein ins Rollen. Es bildeten sich Netzwerke von Aktivist*innen. Wäre es ohne den Aufstand auch dazu gekommen? Wir wissen es nicht.
Doch wieso sollte jede Pride nun 1969 kopieren? Das würde vor allem eines: den erreichten Wandel ignorieren. Es würde die veränderten gesellschaftlichen und staatlichen Rahmenbedingungen ad absurdum führen. Ja es könnte sogar dafür sorgen, dass weite Teile der Gesellschaft uns ihre Unterstützung versagen, wenn wir „ohnehin uneinsichtig sind und an Feindbildern starr festhalten.“
_V: CSDs sind zu weiss und zu schwul und lesbisch
Ja. Da ist was dran. Hier ist ein Punkt angesprochen, den es zu ändern gilt. Doch ist es überraschend? Wie eben bereits ausgeführt, wurzelt die deutsche Bewegung in eben diesem Milieu: weissen schwulen Männern und weissen lesbischen Frauen. Eine Gruppe dieser Menschen war es in Münster. Dazu gebildet aus dem Universitätsbereich. Keinesfalls vergleichbar mit den Aktivist*innen 1969 im Stonewall Inn. Menschen übrigens, die teilweise erst durch die Unruhe zu Aktivist*innen wurden.
In Deutschland wurde der erste „Homosexuellen Umzug“ in Münster von Studierenden geplant und umgesetzt. Also von damals durchaus privilegierten Menschen. In einem Land und einer Region, in der Menschen anderer Hautfarben kaum bis gar nicht präsent waren.
Doch auch hier wollen wir noch differenzierter hinschauen. Denn aus diesen Wurzeln lässt sich zwar einiges erklären. Doch die Kritik muss heute, rund 55 Jahre später eben durchaus ernst genommen werden.
Schwule und Lesben sind auch eins: Männer und Frauen. Als schwuler Mann und lesbische Frau gilt es, mir bewusst zu machen und mich damit auseinanderzusetzen, welche Glaubenssätze und Verhaltensweise ich aus der heteronormativen Gesellschaft implizit übernommen habe. Oftmals existieren unsichtbare Barrieren gegenüber den anderen Teilen der Community und vor allem auch BIPoC. Oftmals fehlen sogar Erfahrungen mit queeren PoC. Es fehlen Erfahrungen mit den erlebten mehrfachen Diskriminierungen aus Hautfarbe, Herkunft und sexueller und geschlechtlicher Identität.
Meine blinden Flecken kann ich jedoch kaum alleine beseitigen. Dann wären es ja keine. Hier kann nur im Dialog und mit Offenheit zueinander Wandel entstehen. Doch genau das ist auch notwendig. Die Pflicht, die wir als Schwule und Lesben und als weisse Bis dabei haben ist, zuzuhören und verstehen zu wollen. An uns selbst zu arbeiten. Die unsichtbaren Wirklichkeitsverzerrungen ins Licht des Bewusstseins holen.
Diese Thematik ist dabei keinswegs neu. Denn bereits 1969/1970 gab es diese Spannungen und die Gay-Liberationfront oder auch die Lesbian and Gay Association waren sehr fokussiert geprägt.
Strukturen, die sich über Jahrzehnte gebildet haben, müssen hinterfragt werden. Das passiert auch!
Manchen geht es zu langsam. Manchen zu schnell. LGBTIQ* sind auch an dieser Stelle eben Menschen wie alle Menschen.
Und zum Abschluss noch ein Thema, bei dem ich die Kritik umdrehen möchte. Denn leider wird die oben geäußerte Kritik oft von Gruppen geäußert, die als Mittel der Kritik Gewalt einsetzen.
_IV: Gewalt
Doch rechtfertigt irgendwas den Einsatz von Gewalt?
Gewalt ist niemals Kritik.
Gewalt ist immer Ausdruck von Schwäche.
Sie reduziert auf das Niedrigste in uns.
Die Polizeigewalt 1969 war genau das. Schwäche, mit dem Ungewohnten und Unbekannten umzugehen und andere Menschen zu akzeptieren. Man wollte ausmerzen und unsichtbar machen, was das eigene Weltbild und den eigenen Selbstwert überforderte.
Doch Gewalt bleibt Schwäche. Egal, ob sie von Links oder Rechts eingesetzt wird.
Das es ohne Gewalt geht, dafür gibt es Beispiele.
Rosa Parks blieb still sitzen. Ghandi marschierte gewaltfrei. Martin Luther King vertraute der Macht des Wortes.
Sie alle demonstrierten uns, dass es ohne Gewalt funktioniert.
Wer sich auf das Christentum beruft, sollte diesen Satz kennen: wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, so halte ihm die rechte hin.
Gewalt mit Gewalt zu beantworten beendet nie etwas. Es erzeugt eine Gewaltspirale und festigt die Struktur.
Und ohne Gewalt zu antworten bedeutet eben keineswegs, dass mein Gegenüber gewonnen hat. Es bedeutet, dass mir dieses Gehabe aus Siegen und Verlieren egal ist. Weil Sieger Besiegte erzeugen und den Grundstein für Rache legen. Erst das Aussteigen daraus, beraubt den Sieger seines Sieges, ohne Verlierer zu hinterlassen.
Das haben uns die friedlichen Revolutionen in der DDR und in Teilen des Nahen Ostens gezeigt. Doch sie haben uns auch gezeigt, dass Gewalt offenbar tief verankert ist und es lange braucht, sie auf allen Seiten zu überwinden.
Der Schlachtruf „Stonewall was a riot“ – an dieser Stelle wird er karrikiert zur hohlen Phrase.
Er wird genutzt, um die eigene Unfähigkeit zum kritischen Dialog zu kaschieren und eigene Gewalt zu begründen.
Der CSD gehört niemandem und allen. Es gibt in immer mehr Städten glücklicherweise engagierte Menschen, die den Rahmen organisieren. Die ihre Freizeit einsetzen, sich mutig in die Öffentlichkeit begeben, damit andere an diesem Tag demonstrieren und sich selbst feiern können.
Kritik ist wichtig. Sie hat für viele Verbesserungen bei vielen CSDs geführt. Also wenn dir etwas auffällt, dass besser geht: geh hin! Bring dich ein! Oder organisiere selbst! Werbe für deine Sichtweise und Ideen.
So funktionieren Demokratie und menschliches Zusammenleben.
Es wird immer unterschiedliche Meinungen geben. So viele, wie es Menschen auf der Welt gibt. Doch wo meine Freiheit die meiner Mitmenschen beschneidet, ist ihre Grenze.
Der CSD gehört uns allen. Doch Gruppen auszugrenzen, weil sie mir nicht passen, widerspricht dem Pride-Gedanken.