Es ist beängstigend. Auch in diesem Jahr gehen wir in einer Rekordzahl an Städten, Orten und Landkreisen auf die Straße. Dabei geht es kaum noch darum, die uns zugestandenen Menschenrechte denen der Mehrheitsgesellschaft anzugleichen. Nein. Schauen wir nur auf ein paar Mottos, unter denen dieses Jahr zur Demonstration aufgerufen wird. „Vielfalt leben – Jetzt erst recht“ in Stuttgart, „Nur gemeinsam stark – für Demokratie und Vielfalt“ in Berlin. „5 vor 12 – Du und ich gegen Rechtsdruck“ in Hamburg und viele mehr. 

Schallte uns noch vor kurzem die Frage entgehen „Was wollt ihr denn noch?“, so hat sich die Lage in diesem Jahr scheinbar komplett gedreht. Der Umgang einer Gesellschaft mit LGBTIQ+ ist ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie. So sagte es Ferda Atamann, Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Demnach steht es schlecht um unsere Demokratie und gerade auch um unsere Lage als LGBTIQ+.

Die Zeichen sind vielfältig. Ein Angriff auf die Regenbogenflagge am Hamburger Rathaus, brennende CSD-Plakate in Stuttgart, Drohungen gehen den Cologne Pride, sich sammelnde Aktivist:innen der Jungen Alternative beim CSD Chemnitz, eine Gegenaktion von rechtsextremen jungen Menschen beim CSD Schwerin und und und. 

Auch, wenn es auf das gesamte Land betrachtet und in ihren Auswirkungen bisher eher marginale Gegenmaßnahmen waren. Alleine die Tatsache, dass sich überall wieder Menschen trauen offen und direkt anderen Menschen mit körperlicher Gewalt bis hin zum Tod zu drohen, erschreckt. Aus den anonymen Hetzkammern des Internets heraus lösen sich Menschen, die offen und ihr Gesicht zeigend gewaltbereit LGBTIQ+ bedrohen. Die darauf bauen, dass sie Angst verbreiten und das wir LGBTIQ+ uns unsichtbar machen. 

Auch kommunale Politker:Innen erleben dies ja verstärkt. In der Folge ziehen sich viele engagierte Menschen zurück. Das jedoch ist genau das Ziel der Angriffe von Rechts. Einschüchtern, Angst verbreiten und damit ein Gefühl von Überlegenheit, Stärke und vor allem Mehrheit zu erzeugen. 

Doch die Mehrheit will eine offene Demokratie!

Das haben die Menschen in diesem Land im Frühjahr auf der Straße gezeigt, das zeigen sie bei den Wahlen. Die Mehrheit lehnt faschistisches, ausgrenzendes Gedankengut und Handeln ab. Die Mehrheit ist sich klar, dass eine solche Welt keine lebenswerte Welt ist. Sondern eine voller Angst, Hass, Wut, Zorn und Unsicherheit. 

Wer möchte in solch einer Welt leben? 

Dieser Atmosphäre der Angst treten wir entgegen. Gerade jetzt sind wir gefordert, offen und zahlreich auf die Straße zu gehen. Doch eben auch, uns unterzuhaken und zu erkennen, dass wir Alle als LGBTIQ+ betroffen sind. Das wir uns solidarisch zueinander verhalten. Lasst uns untereinander kritisch und doch zugewandt sein und uns trotz Differenzen und auch trotz dem bei uns noch erforderlichem Lernen Rücken an Rücken, Seite an Seite stehen. Geschlossenheit kann unsere Stärke sein. Uns menschlich akzeptieren und unsere Differenzen anerkennen, angehen und aushalten. 

Mehr als zuvor brauchen wir jedoch auch Allies. 

Wir brauchen mutige Künstler:Innen, Politiker:innen, Unternehmer:innen, die öffentlich Position beziehen. Die sich stark machen. Die ihre Privilegien und Möglichkeiten nutzen. Wir brauchen Nachbarn, Freunde, Familie, Kollegen, die sich einreihen. Wir brauchen jede und jeden, um im Alltag Hass und Hetze zu widersprechen. 

Ein Aktivist sagte dieser Tage: Es ist nicht nur 5 vor 12, es ist 5 vor 33. 

Treten wir der Angst entgegen! Treten wir ein für eine Welt, in der es schön ist, zu leben. Eine Welt, in der du Mensch sein kannst. Ein Mensch, der liebt, lebt, träumt und der weiss, dass es menschlich ist, unterschiedlich zu sein. 

Noch liegen viele CSDs vor uns. Zeig Flagge, zeig Haltung, zeig dich!

Auf der Straße und vor allem jedoch auch abseits. Im Alltag, im Verein, am Stammtisch und in der Familie. 

Du musst nicht gleich Aktivist:in werden – doch sei ein Allie, ein:e Verbündete:r! 

Oder um es mit dem Motto des Colognepride zu sagen: Für Menschenrechte – Viele! Gemeinsam! Stark! 

Jetzt erst Recht!

Happy Pride