Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Zug auf dem Weg zum CSD Düsseldorf. Vor der Abreise ist mir etwas aufgefallen, dass mich mit Sorge füllt. Ich habe nämlich überlegt, was ich auf dem Weg anziehe und was eventuell erst vor Ort. Dabei ging es keineswegs um ein ausgefallenes Pride-Outfit, wie es die ein oder andere nun im Kopf hatte. Es ging nur darum: ziehe ich mein Verbandsshirt schon an und die Schuhe mit Regenbogen- und Trans*farben.
Wieso zögerte ich? Wir haben 2024 und seit Jahrzehnten erkämpft sich unsere CSD-Bewegung, unsere LGBTIQ+-Community mehr und mehr gesellschaftliche Räume und rechtliche Gleichberechtigung. Doch etwas ist anders in diesen Tage. Der Gegenwind ist nicht nur kalt geworden. Der Gegenwind schneidet buchstäblich ins Fleisch und er erzeugt ein Angstgefühl.
Das Video von Sylt ist nur der letzte Baustein in einer Reihe von Ereignissen, die das Bild klarer werden lassen, dass unser Kampf zwar die Gesetze, doch noch lange nicht die Herzen der Menschen erreicht hat. Da wird zwar vordergründig rassistisch gegrölt. Doch unsere Community weiss, dass gleich nach oder neben dem gemeinten Ausländer auch LGBTIQ+ ebenso abwertend und hasserfüllt betrachtet werden. Noch während Nemo beim ESC auf der Bühne stand, füllte sich das Netz mit diffamierenden Bildern und Aussagen.
Einem Jahrzehnt zunehmender verbaler Gewalt und Entgrenzung von Sprache folgen nun gewalttätige Handlungen. So ist es immer. Sprache formt eben Gedanken und Überzeugungen. Warum wohl sind vor allem weisse Männer gegen eine gendersensible Sprache? Die einfacheren von ihnen, weil es sich gut grölen und stänkern lässt und ein Feindbild von der eigenen Lebensverantwortung ablenkt. Die intelligenteren von ihnen, weil sie wissen, dass Sprache wirkt. Das Bild vom Mann an der Spitze würde endlich ernsthaft in Gefahr geraten, wenn die Sprache eben keinesfalls automatisch männlich ist.
In diesem Jahr wird es in über 140 Städten, nein ich muss sagen Orten, Landkreisen und Städten, CSDs geben. Längst ist unsere Bewegung dem Juni entwachsen. Diesem Monat, in dem so deutlich das Maß erreicht war und sich Trans*personen, LGBTIQ+ jeder Hautfarbe und in erster Reihe schwarze Aktivist:innen gegen Willkür, Unterdrückung und Polizeigewalt zur Wehr setzten. Dieser Aufstand in der Christopher-Street stand keineswegs alleine. Es gab damals schon viele Bestrebungen des Widerstandes. Doch dieses Ereignis war ein Katalysator. LGBTIQ+ erkannten ihren Wert. Wir wollten uns nicht weiter wie Menschen zweiter oder dritter Klasse behandeln lassen. Wir haben den Kopf gehoben und gesagt: Wir sind so und wir sind stolz darauf!
Stolz zu sein, bedeutete, sich anzuerkennen und sich für gut zu empfinden. Stolz ein Mensch zu sein. Ein Mensch, der lebt, liebt, Träume und Sorgen hat.
Die Pride-Bewegung, die Frauenbewegung, die Black-Lives-Matters-Bewegung. Über tausende von Jahren hat der weisse Mann durchgesetzt, dass weiss und männlich offenbar von einer höheren Macht bestimmt die Krone menschlichen seins sei. Entgegen aller gegenteiligen Beweise.
Nur, wer sich bisher alleine an der Spitze und damit über allen anderen sieht, kann Gleichberechtigung als Verlust empfinden. Dabei wollen auch wir lediglich, dass wir diese Ranglisten abschaffen. Das wir uns als Menschen Schulter an Schulter nebeneinander stellen und uns mit Respekt füreinander auf Augenhöhe begegnen.
Das ist obendrein das Wesen der Demokratie.
Wenn wir in diesem Jahr auf die Straße gehen, dann auch, um die Grundsätze unserer offenen demokratischen Gesellschaft zu verteidigen. Unser Grundgesetz wurde 75 Jahre alt und doch lebt es seit seiner Entstehung mit einem Geburtsfehler. Denn der explizite Schutz vieler marginalisierter und von Diskriminierung betroffener Gruppen ist dort verankert. LGBTIQ+ fehlen immer noch.
Wie wichtig es ist, diesen Schutz zu haben, sehen wir nicht zuletzt seit dem Video von Sylt.
Ebenso wichtig ist es, dieses Grundgesetz heute auch trotzdem zu verteidigen.
Für beides gehen wir auf die Straße. Wir sind laut. Wir sind bunt. Ein:e jede:r wie es gefällt!
Wir zeigen unseren Stolz! Regenbogenfahnen gehören dazu! Offen und sichtbar. Daher habe ich dann doch das angezogen, was auch sichtbar ausdrückt: Ja! Ich bin stolz ein Teil dieser Community zu sein und so zu sein, wie ich bin.
Happy Pride!
Kai für den CSD Deutschland e.V.