Erstmals vereinen sich fast alle bayerischen CSDs unter einem Motto: »Queerer Aktionsplan Bayern jetzt!« steht für die landesweite Forderung nach mehr Förderung, Unterstützung und Wertschätzung von LGBTIQ* Personen als gleichberechtigter und anerkannter Teil des gesellschaftlichen Lebens im Freistaat. Für dieses Ziel wirbt die Community in der CSD-Saison 2023 mit Hochdruck und fordert von der Staatsregierung die Verabschiedung eines »Queeren Aktionsplans Bayern«.

Im Jahr der Landtagswahl soll die Staatsregierung dauerhaft in die Pflicht genommen werden, endlich mehr für Gleichstellung und Akzeptanz seiner LGBTIQ*-Bürger*innen zu tun. Bereits 2022 ging das schwul-queere Zentrum Sub anlässlich des »International Day Against Homo-, Bi-, Trans* & Inter*-Phobia« (IDAHOBIT) mit dieser Forderung auf die Straße und stellte es als Münchner CSD-Motto zur Abstimmung. Das Rennen machte damals zwar »Less Me, More We«, doch in diesem Jahr hat’s geklappt. Mehr noch: In einer bislang einmaligen Aktion haben sich die meisten der 27 bayerischen CSDs heuer für ein gemeinsames Motto entschieden und treten zwischen Juni und Oktober unter dem Slogan »Queerer Aktionsplan Bayern jetzt!« an die Öffentlichkeit. Eine konzertierte Aktion, die maximalen Druck auf die Regierungsparteien ausüben und endlich auch in Bayern die Umsetzung dieses landesweiten Projekts ermöglichen soll.

Was ist eigentlich ein Aktionsplan?

Aktionsplan – das klingt zunächst nach fröhlichem Aktivismus, nach Flipchart, Moderationskärtchen und Stuhlkreis. Doch dieser scheinbar harmlose Begriff ist ein wirksames politisches Mittel. Er beschreibt Probleme, legt Ziele und Maßnahmen fest, bindet dabei auch nicht-staatliche Akteure ein und verpflichtet sich zur Umsetzung innerhalb eines gesetzten zeitlichen Rahmens. So finden sich Aktionspläne in allen Politikbereichen, in Bayern beispielsweise gibt es sie bereits zum Thema Jugend oder Inklusion – nicht zu vergessen der Bayerische Aktionsplan Wolf, der den »Umgang mit einer zunehmenden Anzahl von wandernden, standorttreuen sowie reproduzierenden Wölfen« regelt.

Worum geht’s beim Queeren Aktionsplan Bayern?

Themen, die hier berücksichtigt werden könnten, gibt es reichlich und sie ziehen sich durch praktisch alle Lebensbereiche queerer Menschen. Regenbogenfamilien, Senior*innen, Jugend und Coming-out, sexuelle und psychische Gesundheit, Geflüchtete, Inklusion, Arbeitswelt, Gendergerechtigkeit und vieles mehr. Über die Top 3 einer solchen Liste ist man sich überall einig: Bildung, queerfeindliche Gewalt und die Verbesserung der Infrastruktur in ländlichen Gebieten. Zum Thema Bildungsarbeit meldet sich ← Andreas Jungfer zu Wort. Er ist Vorstand des Aufklärungsprojekts München, ein Verein, der vor allem Schulbesuche und LGBTIQ*-Workshops für Fachkräfte organisiert. Er fordert, mehr queere Inhalte in den Lehrplänen aller Schularten zu verankern sowie eine bayernweite Koordinierungsstelle für LGBTIQ*-Bildungsarbeit. »In München haben wir zwei entsprechende Aufklärungsprojekte, aber im Rest von Bayern gibt es fast nichts!«, so der 36-Jährige. Und er stellt fest: »Aktionspläne in anderen Bundesländern erzielen Wirkung. Allein durch ihre Existenz entsteht ein Commitment, entsteht Fördersicherheit – und nicht nur eine Stelle im Sozialministerium, die als Feigenblatt dient.«

Der Spielstand lautet Bund 15 : Bayern 1

15:1 gegen Bayern: Nicht nur im Fußball katastrophal, auch politisch ein erschütterndes Ergebnis. Bayern hat als einziges Bundesland kein Programm für Gleichstellung und Akzeptanz von LGBTIQ*. Dabei mangelt es nicht an Vorbildern. Berlin legte als erstes Bundesland bereits 2009 ein entsprechendes Programm auf – und alle anderen zogen nach. Ob Baden-Württemberg im Süden, Schleswig-Holstein im Norden, ob Rheinland-Pfalz im Westen oder Thüringen im Osten – sie alle verabschiedeten zwischen 2014 und 2018 entsprechende Landesprogramme. Auch der Bund stellte im November 2022 seinen Aktionsplan »Queer leben« vor und betonte so, dass sich die Bundesregierung in der »Verantwortung für eine aktive Politik gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt« sieht und Queerfeindlichkeit entgegenwirken will. Der bundesweite Aktionsplan enthält Empfehlungen für Maßnahmen in den Handlungsfeldern Rechtliche Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Stärkung von Beratungs- und Communitystrukturen sowie Internationales. Allein die Tatsache, dass die Koalition mit dem Grünen Sven Lehmann im Januar 2022 erstmals den Posten eines »Beauftragten der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt« installierte, zeigt, wie wichtig queere Themen in unserer Gesellschaft gesehen werden.

Bayern als kleines, gallisches Dorf

Und Bayern? Der Freistaat gefällt sich offenbar in der Rolle des kleinen, gallischen Dorfes und verweigert sich beharrlich einer solchen Maßnahme. Was keineswegs heißt, dass die Staatsregierung nichts für LGBTIQ* unternimmt. Das Sozialministerium fördert einzelne Projekte, beispielsweise den Aufbau eines LSBTIQ-Netzwerks, das Ende Oktober 2022 immerhin zu einer »Denkwerkstatt« zusammenkam. Die »Leitstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern« im Sozialministerium arbeitet mit Fachorganisationen und Akteuren im LSBTIQ*-Bereich zusammen, außerdem werden Einzelprojekte wie die Plattform »Queeres Netzwerk Bayern« oder »Strong! LGBTIQ* Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt« sowie einzelne Institutionen der Community mit insgesamt 400.000 € unterstützt. »Unter uns: Das ist ein Witz!«, kommentiert
↤ Kai Kundrath, Geschäftsführer des schwul-queeren Zentrums Sub. »Projekte für Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, haben im vergangenen Jahr das Zehnfache an Mitteln erhalten.« Von einer strukturierten, zukunftsfähigen und politisch gewollten Unterstützung der Community sei das weit entfernt. »Die Bayerische Staatsregierung soll Verantwortung für unsere Themen übernehmen, ihre Politik muss von oben in die Gesellschaft einwirken«, so Kundrath.

Land und Stadt, ganz Bayern macht mit

Dass sich »Queerer Aktionsplan Bayern jetzt!« als CSD-Motto fast überall im Freistaat durchsetzen konnte, ist zum einen der Landtagswahl am 8. Oktober geschuldet, von der man sich eine Regierung erhofft, die sich endlich dieses Themas annimmt. Zum anderen aber auch der Dringlichkeit der Forderungen sowie der wachsenden Ungeduld der Aktivist*innen. ↤ Bastian Brauwer, Vorsitzender des Fördervereins Christopher-Street-Day Nürnberg, findet das gut: »Wir predigen schon jahrelang, dass wir mit einem gemeinsamen Motto mehr erreichen können, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht.« Er hatte es mit seinen Kolleg*innen 2022 geschafft, immerhin elf bayerische CSDs unter dem Motto »Sichtbarkeit schafft Sicherheit« zu vereinen – ein Lebensmotto, der im letzten Jahr verstorbenen Nürnberger Polit-Drag und Kommunalpolitikerin Uschi Unsinn. Brauwer betont, wie wichtig ein Aktionsplan gerade für ländliche Gebiete sei: »Viele bayerische Städte sind zusammengewachsene Bauerndörfer, da ist das ländliche Denken, das Kleingeistige noch da.« Ein flächendeckendes Netzwerk wünscht er sich gerade für die Jugend. »Wenn das nicht umsetzbar ist, müssen wir vorhandene Strukturen, zum Beispiel Kreisjugendringe, nutzen, um queere Themen dort zu implementieren«, so der gelernte Steinmetz. Immerhin: Mit der Situation in Nürnberg ist er sehr zufrieden, kann die Frankenmetropole doch als einzige Stadt im Freistaat einen »Masterplan queeres Nürnberg« vorweisen. Hinzu kommt: »Wir haben einen äußerst weltoffenen CSU-Oberbürgermeister, der keine Berührungsängste hat – mit ihm haben wir in den letzten drei Jahren mehr erreicht als mit der SPD in Jahrzehnten zuvor!« Die Hoffnung, daraus eine ähnlich queerfreundliche CSU-Staatsregierung ableiten zu können, hat er indes nicht: »Am 8. Oktober könnten zwar die Weichen neu gestellt werden«, so der 38-Jährige, »aber nur wenn die Grünen in der Regierung sitzen, sehe ich eine realistische Chance für den Aktionsplan.«

Wie der Aktionsplan entstehen soll

Für die Umsetzung und endgültige Formulierung zeichnet der Landesverband Bayern des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) verantwortlich und setzt dabei auf die Zusammenarbeit mit den bayerischen CSDs sowie freien Organisationen und Verbänden. In einem Workshop im September werden Inhalte gesammelt und formuliert, anschließend soll das Dokument Ministerpräsident Markus Söder übergeben werden. »In Bayern wurde von der Regierung lange Zeit nicht verstanden, dass queere Menschen ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind, und so hat man ihre Relevanz sowie ihre Bedarfe weder erkannt noch ernst genommen«, so LSVD Bayern-Vorstandsmitglied ↤ Markus Apel. »Gerade im Freistaat ist noch wenig Wissen zu Queers vorhanden. Daher muss die Regierung sensibilisiert werden, damit sie Recht umsetzen und einen Staat repräsentieren kann, der auch für LGBTIQ* sicher ist«. Dafür, dass sich über Jahrzehnte zu wenig getan hat, macht er eine Mischung aus Vorurteil, Stigma und verinnerlichter Scham verantwortlich. »In Bayern hat sich die Idee verankert, dass Queers besser unsichtbar bleiben sollen, weil sie sonst gefährlich seien oder Sünde in die Öffentlichkeit tragen würden«, meint Apel. Im Freistaat habe die Community meist ohne staatliche Unterstützung gekämpft. Das müsse sich jetzt ändern.

Auch viele Allys sind zur Unterstützung dabei

Unterstützung für das Vorhaben kommt nicht nur von LGBTIQ*-Gruppierungen, auch jede Menge Allys, also Verbündete aus dem nicht-queeren Leben, sind dabei. So signalisiert der Paritätische Bayern ebenso seine Solidarität wie Condrobs e.V., der sich vor allem im Bereich Suchthilfe sowie Kinder- und Jugendarbeit engagiert. »Diversität ist für uns ein Grundwert«, so Dr. Sophia Berthuet, Abteilungsleiterin für Integrations- und frauen*spezifische Hilfen bei Condrobs. »Wir positionieren uns gegen Ausgrenzung und Hass in der Gesellschaft, für uns ist geschlechtliche Vielfalt ein Gewinn und sollte gesellschaftlich und politisch so gesehen und verankert sein.« Diversität und Gleichstellung sind aus ihrer Sicht Gradmesser einer Demokratie, weshalb geschlechtliche Vielfalt als Querschnittsthema gesellschaftlich und politisch fest zu verankern sei.

Text: Bernd Müller