Der hasserfüllte und gewaltbereite Mob, der in Bautzen gegen den CSD aufmarschiert ist, war weniger eine Zäsur, als vielmehr ein Weckruf. Das, was sich da seit Monaten, wenn nicht Jahren zusammenbraut, lauter wird, sichtbarer und mutiger wird, brach nun einfach sehr deutlich in die Öffentlichkeit. Lange konnten wir verleugnen, dass wir wirklich Gegner haben, die uns immer noch auslöschen wollen. Die nicht einfach nur unsere erkämpften Menschenrechte zurückdrehen wollen. Nein.
Diese wollen uns wirklich ausrotten.
Doch schon seit Jahren fallen AfD Abgeordnete mit hasserfüllten Sprüchen gegen queere Menschen auf. Die widerlichen Kampagnen gegen Drag-Lesungen, gegen das Selbstbestimmungsgesetz, gegen den dritten Geschlechtseintrag machten es doch schon lange deutlich: Hier ist es nicht mit einer politischen Auseinandersetzung getan. Mit der CDU schlagen wir uns seit Jahrzehnten rum. Auch mit Teilen der FDP und SPD. Doch es gab einen Konsens. Nämlich den, dass wir uns als Menschen gegenseitig anerkennen und das wir über den Dialog zu einer Verständigung kommen können. Mit denen, die sich nun scharen und Bahn brechen, ist der Dialog unmöglich. Diese sprechen uns unser Existenzrecht ab. Wir sind das Feindbild, dass Ihnen dazu dient, Stimmung zu machen, Einheit herzustellen und zu hetzen. Der gemeinsame Feind, auf den jede:r draufhauen darf.
Weil sich auf LGBTIQ+ als minderwertige Menschen eben doch noch viele einigen können.
Und im Schatten des Extremen trauen sich auch die wieder lauter gegen uns zu werden, die das trotz aller Fortschritte ohnehin immer noch denken. Denn die Abwertung von LGBTQ+ schaut auf eine tausende Jahre lange Indoktrination zurück. Solche tief verwurzelten Aberglaubenssätze wachsen nur langsam über Generationen heraus. Derzeit nehmen sie eher wieder zu.
Die ganz Lauten und Extremen mögen noch eine Minderheit sein. Doch diese wirkt auf immer mehr Menschen und wird mehr und mehr auch anschlussfähig in der Mitte. Die Strategien, uns als Gefahr für Kinder und Frauen darzustellen ist so perfide, wie wirksam. Vor allem wirken sie, weil die bisher gemäßigte Mitte auf diese Lautstärke und das Extreme reagiert. Die Scheinwerfer der Öffentlichkeit richten sich auf eine an sich sehr kleine Minderheit.
Ironischerweise wurde genau das der queeren Community über Jahrzehnte vorgeworfen: sich zuviel öffentlichen Raum zu nehmen.
War also Bautzen nur ein Unfall? Nein. War Bautzen die dramatische Zäsur? Nein.
Doch können wir nun einfach so weitermachen, wie bisher? Ebenfalls nein.
Die Pride-Bewegung war faktisch sehr erfolgreich. Die homofeindlichen Einstellungen gingen in den westlichen Gesellschaften kontinuierlich zurück. Die Menschenrechtslage verbesserte sich konstant. Wir reden heute über Feinheiten beim Adoptionsrecht, wir reden verstärkt über die Situation von trans*-Personen und von non-binären Menschen.
Doch dieser Erfolg wurde auch dadurch möglich, dass wir starke Schützenhilfe vom Bundesverfassungsgericht erhielten. Das Grundgesetz gibt es nämlich her, dass wir vollständig gleichberechtigt zu sein haben. Doch eben dieses Grundgesetz hat auch Jahrzehntelang die strafrechtliche Verfolgung von schwulen Männern ermöglicht. Auslegungssache. Der Bezug auf abstruse Sittengesetze steht immer noch drin.
Bautzen sollte uns ein Weckruf sein! Es sollte uns dazu bringen, unsere Strategien zu überdenken. Sind unsere CSDs so wie sie sind noch das wirksame Mittel? Sind sie ausreichend? Sind wir zu brav geworden, wie manche sagen? Zu angepasst, wie andere uns in der Community vorwerfen?
Ehrlich gesagt, ist uns diese Bewertung durch Dritte egal. Doch wichtig ist troztdem, dass wir unsere Wirksamkeit überprüfen.
Die Rechten haben sich global vernetzt. Sie haben die erprobten und bekannten Mechanismen der Mobilisierung genutzt. Sie haben gezielt und systematisch Diskursräume erobert und eingeengt. Sie haben mit den bekannten und auch von uns erfolgreich genutzten Mitteln nun das Gegenteil dessen erreicht, was wir als queere Community anstreben.
Es ist also höchste Zeit, dass auch wir unsere Strategien überprüfen. Das wir unsere Wirksamkeit hinterfragen. Das wir neben dem politischen Anspruch wieder kämpferisch werden. Noch geht es nicht um alles. Doch die Rechten setzen alles daran, dass es sehr bald genau darum geht. Wenn wir jetzt einfach weitermachen, wie jedes Jahr, dann werden wir Schritt für Schritt in die Defensive geraten. Wenn wir unser Programm abspulen, wie wir es kennen, dann drohen wir, mehr und mehr an Wirksamkeit zu verlieren. Wenn wir unverändert weitermachen, dann ignorieren wir, was sich geändert hat und dann begeben wir uns auf den Rückweg. Wenn wir auf das Jahr 2025 blicken, dann heisst es: Raus aus den Routinen!
> erreichen wir die politischen Entscheider:innen vor Ort?
> erreichen wir die Gesellschaft vor Ort?
> Was bewirken wir in der Stadt, im Landkreis, in unserer Region?
> Auf welche Bündnisse greifen wir zurück? In welche Bündnisse mit Allies sind wir eingebunden oder suchen sie selbst aktiv?
> Leben wir selbst vor, was wir von der Gesellschaft fordern und sind wir glaubwürdig?
> Schaffen wir es, die eigenen Reihen zu schließen, uns unterzuhaken und daraus Stärke zu ziehen?
Das sind nur einige der Fragen, die wir uns jetzt stellen könnten. Vielleicht haben wir schon zu lange ignoriert, was sich dort zusammenbraut.
Wir sind über 140 CSDs in Deutschland. Doch wir sind auch unzählige weitere queere Initiativen, Organisationen, Gruppierungen. Reichen wir uns die Hände, haken uns unter und rücken zusammen. Wir führen diesen Kampf gemeinsam. Denn nur so sind wir stark.
Doch dazu müssen wir eines schaffen: Raus aus den Routinen!
Euer CSD Deutschland e.V.
Erinnerung:
Wir laden euch zum Bundestreffen der CSDs! Vom 11.-13.10. in Nürnberg. Ihr wollt dabei sein? Schreibt uns: info@csd-deutschland.de