Es ist in Deutschland wieder gefährlich, LGBTIQ+ zu sein.

Das Jahr 2022 brachte uns LGBTIQ+ im immer noch notwendigen Kampf dafür, einfach nur die gleichen Menschenrechte zu genießen, wie die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft, zurück auf die Straßen.

Mehr als 3 Millionen Menschen demonstrierten bundesweit im Rahmen der mehr als 100 CSDs. Denn es gibt noch sehr viel zu tun. Rechtlich, doch vor allem gesellschaftspolitisch. 

Es ist wieder lebensgefährlich geworden, offen zur eigenen Identität zu stehen. Wir trauen um Malte, der beim CSD in Münster brutal und sinnlos zu Tode kam. Dieser Vorfall war dabei nur der traurige Höhepunkt von vielen gewalttätigen Übergriffen auf LGBTIQ+. Queerfeindliche Gewalt gab es bei vielen Veranstaltungen im Rahmen von CSDs. Von Anpöbeleien bis zu Handgreiflichkeiten oder der Verbrennung von Regenbogenflaggen. Als erst vor wenigen Tagen ein Profi-Handballer aufhörte, seine Homosexualität zu verstecken, wurde dies von bekannten und den Diskurs prägenden rechten Kräften dahingehend kommentiert, dass man es nicht herausposaunen braucht, was man im Bett macht. Darin wird die ganze Verdrehung der Diskussion deutlich. 

Damit wird offenbar, dass in Bezug auf LGBTIQ+ eben weiterhin und fortlaufend eine falsche Annahmen die Basis bildet. Ständig geht es darum, was im Bett passiert, was sexuell zwischen zwei Menschen stattfindet. Der Begriff sexuelle Orientierung hält sich hartnäckig. Doch eben das ist ein Irrweg und eine grundfalsche Betrachtung. Denn schwul, lesbisch, queer, bi oder trans* zu sein, ist eben nicht nur eine andere Spielart im Bett. Nein. Es ist mehr. 

Es ist eine andere Identität. Es ist eine andere Kultur. 

LGBTIQ*+ mögen auch vieles, dass die Hetero-Mehrheitgesellschaft mag. Klar. Und Deutsche Lesben sind eben auch deutsch und tragen viele dieser Kulturelemente in sich. Doch trotzdem sind wir LGBTIQ+ eben keine Heteros. Nein, wir sind wer wir sind: LGBTIQ+. Das ist unsere Identität. 

Am einfachsten einsehbar dürfte es sein, wenn die typischen Rollenmuster nicht mehr passen. Wer ist denn bei euch Frau / Mann? Eine bekannte Frage. Tja, nicht so einfach was? Wieso sollte es das auch geben? Weil daran binäre und oft patriarchaische Bewertungen hängen. Die Frau kümmert sich ums Heim, der Mann arbeitet. Sind nun beide Personen Frau oder Mann, kommt das Konzept an seine Grenzen. 

„LGBTIQ+ zu sein, bedeutet, eine andere Identität zu haben. Oder sie sich erstmal zu erkämpfen. Die eigene Identität zu finden, unter all diesen anerzogenen heterosexuellen Glaubenssätzen.“, sagt Kai Bölle, Mitglied im Vorstand des CSD Deutschland e.V., „Diese Identität zu leben, sie erstmal zu finden, wird wieder gefährlicher. Das hat uns das Jahr 2022 eindrücklich gezeigt.“ 

Seit April haben LGTBIQ*+ an mehr als 100 Orten in Deutschland demonstriert. Als Dachverband der CSD-organisierenden Gruppen und Vereine haben wir heute für diese stellvertretend unsere gesamtpolitischen und gesellschaftlichen Forderungen an die Bundesregierung. 

Dazu sagt Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung: „Es ist unmöglich, das Ende der CSD-Saison unbeschwert zu zelebrieren. Sie war überschattet von vielen Angriffen auf CSD-Teilnehmer*innen und dem schrecklichen Tod von Malte. Die Verletzlichkeit der queeren Community wurde uns schmerzlich vor Augen geführt. Ich glaube, dass diese Verletzlichkeit inzwischen auch der Gesellschaft bewusst geworden ist. Viele haben sich solidarisch gezeigt. Die Bundesregierung steht an der Seite von LSBTIQ*.“

Ebenfalls überreichen wir eine Regenbogenflagge, die im Rahmen des CSD in Berlin gestaltet wurde und in Kooperation mit NYX Cosmetics und der Kampagne „Proud Allies For All“ entstanden ist.

LGBTIQ+ werden immer eine Minderheit bleiben. Daher brauchen wir die unerschütterliche Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft.

Die Forderungen im Einzelnen

I. Ergänzung des Artikel 3 GG um das Merkmal der sexuellen und geschlechtlichen Identität

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist nach Überwindung der NS-Diktatur in dem Geiste erschaffen worden, dass derart nicht wieder passieren darf. In Artikel 3 des Grundgesetzes wurden außerdem neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot die Gruppen besonders betont, die unter expliziter Verfolgung in der NS-Zeit litten. Dabei wurden LGBTIQ+ als einzige Opfergruppe ausgelassen.

Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass queerfeindliche Haltungen auch nach der NS-Zeit noch lange Konsens in der Gesellschaft waren. 

Auch, um das bisher Erreichte unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes zu stellen, fordern wir die Bundesregierung auf, in ihrer laufenden Legislaturperiode die Ergänzung des Artikel 3 GG entsprechend umzusetzen.

II. Abschaffung des Transsexuellengesetzes

Das Transsexuellengesetz ist in seiner jetzigen Form diskriminierend und menschenverachtend. Es verletzt die Würde von Trans* und macht sie zu Bittsteller*innen ihrer eigenen Identität.

Wir fordern die Bundesregierung auf, dieses Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein echtes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Ein Gesetz, dass davon geprägt ist, dass Betroffene gehört wurden und daran mitwirken.

III. Vollständige Gleichstellung von homosexuellen Männern bei der Blutspende

Trotz einzelner Fortschritte besteht weiterhin eine signifikante Unterscheidung hinsichtlich der Ausschlussmerkmale. Die Regelung unterscheidet zwischen Männern, die Sexualverkehr mit häufig wechselnden männlichen Sexualpartnern haben und allen anderen Menschen. 

Wir fordern konkret das Merkmal einheitlich als „Sexualverkehr zwischen zwei Menschen mit häufig wechselnden Partner*in“ zu definieren. 

IV. Gleichstellung der Adoptionsregeln in gleichgeschlechtlichen Ehen

Trotz der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gibt es weiterhin gravierende Benachteiligungen im Vergleich zur gemischtgeschlechtlichen Ehe. 

So ist bei der Geburt eines Kindes in eine heteronormative Partnerschaft hinein der männliche Ehegatte automatisch Vater des Kindes und das unabhängig von der biologischen Vaterschaft.

In lesbischen Ehen ist dies nicht der Fall. Die Ehepartnerin muss die Elternschaft über den Weg der Stiefkindadoption erlangen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Diskriminierung zu beenden.

V. Schaffung und Umsetzung förderaler Aktions- und Bildungspläne gegen Queerfeindlichkeit

Die Ablehnung von Identitäten, die von heteronormativen Lebensweisen abweichen, ist trotz aller gesetzlichen Fortschritte weiterhin ein Problem in unserer Gesellschaft.

Diese Ablehnung führt zunehmend zu Gewalt gegenüber queeren Menschen. Die Anzahl der Übergriffe steigt, ebenso die Anzahl der Entfernungen und Verbrennung von Regenbogenflaggen sowie gewaltsamen Angriffen auf queere Einrichtungen. 

Insbesondere junge Trans*- und Homosexuelle brauchen während der nach wie vor schwierigen Phase des Coming-outs Unterstützung durch öffentliche Einrichtungen. Diese Vereine, Institutionen und Träger benötigen eine solide finanzielle Grundlage, um ihre Aufgaben in vollem Umfang erfüllen zu können.

Hasskriminalität muss deutlich besser als bisher strafrechtlich erkannt und  verfolgt werden. Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Ausgrenzung sowie diffamierenden und stigmatisierenden Darstellungen und Äußerungen müssen ergriffen werden. 

Wir fordern von der Bundesregierung einen nationalen Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen, die der bestehenden Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern*, Transsexuellen und Intersexuellen (LSBTTI*) konsequent entgegentreten sowie für Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt werben. Dieser Aktionsplan ist dabei zwingend mit den notwendigen Ressourcen zu unterlegen.

VI. Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von HIV-positiven Menschen und die Sicherung der Arbeit der Aidshilfen

Eine besondere Rolle spielt auch weiterhin die bestehende Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen. Menschen mit HIV erleben auch heute noch Diskriminierung in unterschiedlichster Form. Sei es im Gesundheitswesen, in der Arbeitswelt oder als Kund*innen von Dienstleistungen.

Die Arbeit der Aidshilfen leistet einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Eindämmung der Krankheit und als Anlauf- und Beratungsstelle für Infizierte und deren Angehörige. Die Aidshilfen sind dabei wesentlich barrierearmer, als Ärzte, Gesundheitsämter und Krankenkassen.

Darüber hinaus nehmen die Aidshilfen eine wichtige Funktion in Bezug auf viele andere sexuell übertragbare Krankheiten wahr. Dies führt direkt zu einer Entlastung des Gesundheitssektors. 

Mit dem Absinken der Infektionszahlen schwindet jedoch auch die Bereitschaft, die Arbeit der Aidshilfen zu finanzieren. Spenden und ehrenamtliches Engagement sind die wichtigen Pfeiler dieser Arbeit. 

Wir fordern daher, die Arbeit der Aidshilfen durch staatliche Mittel abzusichern und die Aidshilfen als wesentlichen Akteur der Gesundheitsprävention anzuerkennen.

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