Fast könnte man meinen, es wäre das wiederkehrende Sommerlochthema der queeren Community: Fetische auf CSDs. Doch ganz so einfach scheint die Sache nicht zu sein. Aktueller Anlass ist ein Posting nach dem Berliner CSD, auf dem Menschen mit Hundemasken und weiterer Ausrüstung aus Leder zu sehen waren, die auf dem Boden knieten. Besonders eindrucksvoll dabei, das kleine Kind, dass vor ihnen steht. Ein weiterer Punkt ist nun, dass beim Rosa Tag im Heidepark, einer seit 10 Jahren existierenden Veranstaltung des CSD Nord e.V. und des HeideParks ebensolche Masken nicht zugelassen sind. Der Aufschrei in den Netzwerken bei beiden Ereignissen ist vielgestaltig. Nebenbei sei gesagt, dass das Bild gar nicht aus dem Jahr 2022 stammt. Doch für Fakten und Quellen interessiert sich die Shitstorm-Gemeinde nicht.
Heteronormative Glaubenssätze
Dabei sind beide Vorgänge einerseits sehr unterschiedlich, andererseits jedoch sind sie auch Ausdruck eines unterschätzten Phänomens unserer heteronormativen Gesellschaft.
Doch zuerst einmal: offenbar geht es in beiden Fällen nicht um den Fetisch an sich. Denn Fetisch ist ein Sammelbegriff. Fetisch kann alles sein. Es gibt Menschen, die werden durch Gummistiefel erregt, andere durch Anzug und Krawatte, wieder andere durch Damenwäsche, Pumps, Sneaker, Leder und vieles mehr. Diesen Fetischen ist die sexuelle Identität übrigens egal. Das gesamte Spektrum, dessen die Menschheit fähig ist, kann und hat Fetische. Geht es also wirklich um Fetische? Wer hat denn schon mal davon gehört, dass das Tragen von Anzügen auf einem CSD oder auch auf irgendeiner anderen Veranstaltung verboten werden sollte? Oder das Tragen von Turnschuhen?
Nein. Wenn wir uns die zugrundeliegenden Fälle anschauen, dann geht es bisher nahezu immer um Hundemasken, das sogenannte Pup-Play. Ich behaupte jedoch, dass ähnliche Reaktionen auftreten, wenn Männer Damenwäsche oder Pumps tragen. Übrigens nahezu nie, wenn Frauen Jeans tragen.
Das Thema hinter dem Thema
Worum geht es also wirklich? Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als die Konfrontation mit heteronormativen Glaubenssätzen, wie Menschen zu sein haben, wie man sich zu zeigen und zu geben hat. Diese Thematik ist dabei so alt, wie die Menschheit selbst. Wer Interesse hat, beschäftigt sich gerne nochmal mit der Zeit, als Frauen anfingen Hosen zu tragen oder als der Minirock in Mode kommt. Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Eine rationale Begründung dafür kann niemand liefern. Egal, mit welchen Ereignissen wir uns beschäftigen. Die Vernunft ist dabei selten im Spiel. Da dies so ist, werden Scheinargumente ins Feld geführt. Dabei entlarven diese sofort, um was es geht. Im Fall der Puppy-Masken hört man unisono: Ja, aber da sind doch auch Familien und Kinder.
Bäm! Da ist es, das Totschlagargument der reaktionären Rechten. Mit der Begründung, Kinder schützen zu müssen, wurde in Florida das Thema LGBTIQ* aus ganzen Schulstufen verbannt, mit dem Argument wurden in Polen und Ungarn LGBTIQ*-feindliche Gesetze erlassen. Kinder müssen geschützt werden!
Seltsam, dass bisher keine Forderung aufkam, dass katholische Kirchen erst ab 18 Jahren betreten werden dürfen, Ministranten verboten werden und überhaupt die katholische Kirche als Gefahr für Kinder eingestuft wird. Dabei gibt es in diesem Kontext weltweit Tausende von erwiesenen Missbrauchsfällen. Jedoch gibt es nicht einen einzigen Fall, in dem ein Kind durch den Anblick eines Menschen in Puppy-Maske in irgendeiner Weise Schaden nahm. Wohl jedoch Eltern, die ihren Kindern die Vielfalt der Welt erklären müssten.
Mit Homophobie aufgewachsen
Das auch innerhalb der LGBTIQ*-Community ähnlich argumentiert wird, zeigt vor allem eines: wie tief verwurzelt wir mit diesen Glaubenssätzen „Wie ein Mensch zu sein und sich zu zeigen hat“ aufwachsen. Es ist das mittlerweile erforschte Phänomen der internalisierten Homophobie. Wenn ich eben als Kind so aufwachse und erzählt und vorgelebt bekomme, dass so etwas falsch ist, dann trage ich in dem Moment, wenn ich diese Identität in mir selbst erkenne, zuerst einmal einen verflixt anstrengenden Kampf mit mir selber aus. Der angeblich Kinderschutz führt direkt zum Gegenteil. Wenn aus Kindern Teenagern werden, die sich und ihre Sexualität und ihre Identität entdecken, dann sorgt das Ausmerzen der Vielfalt menschlichen Lebens während des Aufwachsens vor allem dafür, sich falsch zu fühlen. Mit allen Folgen für die psychische Gesundheit. Woran liegt es wohl, dass die Suizidquote queere Jugendlicher soviel höher ist, als in der Gesamtbevölkerung?
Nein. Es geht nicht um den Schutz von Kindern. Eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft nutzt dieses Scheinargument, um die eigene Ideologie davon, wie Menschen zu sein haben, zu festigen und zu propagieren. Es ist eine psychologische Methode, die hier angewandt wurde. Eine Methode, die wir bei Donald Trump in Reinkultur gesehen haben. Trump hat über andere permanent das behauptet, was er selbst getan hat: Gelogen, betrogen, den eigenen Vorteil gesucht und vieles mehr.
Unserer Community wird also vorgeworfen, unser Streben nach gleichen Menschenrechten, wäre das Propagieren einer LGBTIQ*-Ideologie. Dabei ist es exakt das, was eben die stark evangelikal geprägte Rechte tut. Sie verbreitet eine Ideologie, wie der Mensch zu sein hat. Dabei gehört dazu eben auch, wie der Mensch sich zu kleiden und zu verhalten hat. Eine Ideologie, die nur darauf beruht, dass das halt so zu sein hat bzw. weil vor über 2000 Jahren irgendwo irgendwer das mal von einem Gott gehört zu haben glaubt.
Obwohl die Natur diese Ideologie schon längst als falsch entlarvt hat.
Das bei CSDs eben Menschen sich endlich trauen, sich so zu zeigen, wie sie sich wohl und frei fühlen, wird instrumentalisiert. Bei CSDs entstehen immer Bilder, die dafür nutzbar sind. Dabei zeigt es ja nur, wofür die LGBTIQ* Community kämpft: Sei wer du bist – angstfrei und selbstbestimmt. Also geh auf die Straße und zeige dich so! In Pumps, in Rock, im Anzug, in Jeans, fast nackt oder eben als Puppy.
Wie ich schon sagte, wenn mein Fetisch der Anzug ist, dann werde ich keine Probleme haben. Der heteronormativen Gesellschaft fällt es leicht, einen schwulen Mann im Anzug zu ertragen. Ja, mittlerweile fällt es ihr sogar leicht, eine Frau im Anzug zu ertragen. Doch sobald ich den Anzug gegen einen Rock und Pumps tausche, beginnen schon die Probleme.
Doch das ist eben CSD, das ist Pride: sein wie ich mich wohl fühle, sein, wer ich bin. Das ist es, was die Gesellschaft aushalten muss. Das offenkundig irritierende, andere, unbekannte. Übrigens: Kinder können das am besten aushalten. Sie begegnen den Puppys nämlich mit Neugier und nicht mit Abwertung.
Bild: (c) Alexander Rumyantsev