Nachdem 2017 die Ehe für alle und die Rehabilitierung der Opfer von §175 beschlossen wurden, ist bei vielen Menschen – innerhalb wie außerhalb der Community – der Eindruck entstanden, nun sei eigentlich alles erledigt. Auch von Journalist*innen wurde rund um die Christopher Street Days (CSD) des vergangenen Jahres bereits die Frage gestellt, ob diese denn jetzt noch notwendig seien. Natürlich sind sie das auch weiterhin, aber diese Notwendigkeit erklärt sich weniger leicht, nachdem mit der Ehe für alle das prominenteste Gleichstellungsthema abgeräumt wurde (wobei sich die Frage nach rechtlichen Regelungen für Menschen, die nicht heiraten wollen, weiterhin stellt).

CSD - Christopher Street Day

Perspektiven des CSD – welche Themen haben wir eigentlich noch?

Eine Kunst wird es also sein, die Notwendigkeit des CSD innerhalb, aber vor allem außerhalb der Community zu erklären, ohne sich dabei in eine defensive Rechtfertigungsposition drängen zu lassen. Es wird auch weiterhin darauf ankommen, Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu schmieden und Bündnispartner*innen an sich zu binden. In der Erledigung des Ehe-Themas steckt zugleich die große Chance, nun auch andere politische Aufgaben in den Fokus zu rücken. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD gibt indes wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich bis zur nächsten Bundestagswahl viel bewegen wird bzw. viel bewegen lässt. Hier bleibt vieles vage oder wird gar nicht erst erwähnt. Umso mehr wird es darauf ankommen, Themen zu setzen und medial präsent zu machen. Der CSD ist nicht nur ein Straßenfest mit angeschlossener Demonstration. Einen CSD zu veranstalten heißt auch, begleitende inhaltliche Arbeit in Form von Veranstaltungen sowie eine aktive Medienarbeit zu leisten.

Nicht zuletzt müssen wir damit rechnen, dass sich der politische Rechtsruck und der gesellschaftliche Rollback weiter fortsetzen. Man mag aktuell eine Regierungsbeteiligung der AfD noch für eher unwahrscheinlich halten. Wie sich die Situation 2019 nach den Landtagswahlen in Bremen, Sachsen, Brandenburg und Thüringen darstellt, bleibt aber abzuwarten. Auch angesichts der 2018 anstehenden Landtagswahlen in Bayern (und weniger in Hessen) stellt sich die Frage, wie sehr sich das politische Klima angesichts der AfD-Präsenz weiter verschärft, ohne dass deren Vertreter*innen in konkrete Verantwortung kommen. Hier wird auch der CSD weiterhin und künftig noch stärker die Aufgabe haben, Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Minderheiten sowie unterschiedlichen Akteur*innen der Mehrheitsgesellschaft einzugehen und diese in die Veranstaltungen und Demonstrationen einzubinden, ohne ggf. notwendige Debatten über Homo- und Trans*phobie dabei außen vor zu lassen.

CSD: Mehr als nur eine institution für Schwule und Lesben.

Gleichzeitig muss es uns gelingen, unsere Anliegen so zu erklären, dass sich die Menschen innerhalb und außerhalb der Community mitgenommen fühlen. Die teilweise sehr emotional geführten Debatten – auch in unseren eigenen Reihen – über Sternchen, queeren Buchstabensalat, Vereinnahmung und/oder Ausschluss, mangelnde Sichtbarkeit, usw. müssen ernst genommen und geführt werden. Das bedeutet nicht, dass wir über die Stöckchen von AfD, Demo für alle usw. springen müssen. Es nützt uns aber auch nichts, wenn wir Akzeptanz von Vielfalt fordern, wenn wir sie im eigenen Umfeld nicht leben.

Wir sind (k)eine Wohlfühlveranstaltung, bei der sich wohlmeinende Politiker*innen im Glanz unserer Buntheit sonnen können, um ihre eigene Toleranz und Weltläufigkeit zu demonstrieren und die von ihnen repräsentierten Städte als aufgeschlossene, regenbogenbunte Tourismus-Destination zu preisen. Wir haben auch weiterhin ein wichtiges inhaltliches Anliegen, das wir bei aller Freundlichkeit gegenüber den uns unterstützenden Repräsentant*innen weiterhin möglichst unbequem artikulieren müssen. Wer sich in eine CSD-Demo einreiht oder auf unseren Bühnen ein Grußwort spricht, soll immer damit rechnen müssen, mit den politischen Defiziten in Stadt, Land und Bund sehr deutlich konfrontiert zu werden.

Themen/Forderungen:

  • Artikel 3 GG: Nur durch diese Ergänzung kann eine volle rechtliche Gleichstellung von LSBTI erreicht und dauerhaft abgesichert werden. Der erweiterte Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes muss in Zukunft klarstellen: „Niemand darf wegen … seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität… benachteiligt oder bevorzugt werden.“ 
  • Trans*/Inter-Rechte: Notwendig ist ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Trans*- und intersexuellen Menschen sowie umfassende Maßnahmen, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Die Reform des Transsexuellengesetzes und die Möglichkeit zur Eintragung eines dritten Geschlechts, so wie sie das BVG-Urteil verlangt, müssen zügig umgesetzt werden. 
  • Bundesweiter Aktionsplan: Schon die letzte Bundesregierung hat es versäumt, das Ziel eines nationalen Aktionsplans gegen Homo- und Trans*phobie in die Tat umzusetzen. Die Große Koalition spricht sich zwar dafür aus, Diskriminierungen entgegenzuwirken, wird aber darüber hinaus im Koalitionsvertrag nicht konkret. Hier muss, ggf. in gemeinsamer Arbeit mit dem LSVD, weiterhin Druck ausgeübt werden. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Hassverbrechen bzw. homo- und trans*phober Gewalt, deren Erfassung, Verfolgung und Bekämpfung Teil eines solchen Aktonsplanes sein muss.
  • Situation queerer Geflüchteter: Queere Geflüchtete brauchen unsere Solidarität. Wo immer es möglich ist, sollten CSD-Veranstalter*innen für ihre Sichtbarkeit sorgen, die Teilnahme an CSD-Demonstrationen möglich machen und dabei helfen, ihre Anliegen medial zu transportieren. Die Lebenssituation queerer Geflüchteter in Deutschland muss weiterhin ein zentrales Thema des CSD bleiben. Dazu gehört ihre menschenwürdige Behandlung und Unterbringung sowie die bedarfsgerechte Finanzierung von Beratungs-, Wohn- und Hilfsangeboten und eine geeignete medizinische, psychologische und psychosoziale Versorgung. Die Asylverfahren müssen den besonderen Erfordernissen queerer Geflüchteter Rechnung tragen. Die Ausweisung in „sichere“ Drittstaaten muss, sofern sie überhaupt erfolgen sollte, die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zwingend berücksichtigen. 
  • Rechtsruck und Rollback: Die Auseinandersetzung mit AfD, Demo für alle und allen weiteren rechtsextremistischen Parteien und Gruppen, aber auch mit den Religionsgemeinschaften, muss gesucht und geführt werden. Die CSD-Verantwortlichen müssen sich inhaltlich, sprachlich und strategisch fit machen, um Homo- und Trans*phobie jederzeit benennen und entgegentreten zu können. Der Diffamierung angeblicher „Frühsexualisierung“ etc. müssen wir inhaltlich und sachlich begegnen. Wir dürfen uns nicht davon abbringen lassen, offensiv die Förderung von Vielfalt-Arbeit, Schulaufklärungsprojekten u.a.m. einzufordern, nur weil wir Angst vor Skandalisierung haben. Gleichzeitig müssen wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, tatsächlich Aufklärungsarbeit zu leisten, die Menschen mitnimmt, Ängste ernst nimmt und hilft, Vorurteile abzubauen.

Weiterhin verfolgen wir/setzen wir uns ein für:

  • Abbau der noch bestehenden Diskriminierungen bei der Ehe für alle und der Rehabilitierung der Opfer von §175 vervollständigen
  • Schutz, Stärkung und Förderung von Regenbogenfamilien und Regenbogen-Pflegefamilien 
  • Diversity / Anti-Diskriminierungsarbeit am Arbeitsplatz 
  • Förderung von Angeboten für LSBTIQ im Alter, Situation von LSBTIQ in der Pflege 
  • Historische Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung und Stärkung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld 
  • Ausbau, Stärkung und Förderung ehrenamtlicher Strukturen 
  • Stärkung der Gremienbeteiligung von LSBTIQ 
  • Globale Menschenrechte von LSBTIQ 
  • Verbesserung der Vernetzung innerhalb der Community / innerhalb der CSD-Landschaft